Nach der Debatte um den Ballermann-Song «Layla»
Wo sind die grossen Sommerhits?

«Wann wirds mal wieder richtig Sommer?»: Früher prägten eingängige Hits, die sich später zu Evergreens entwickelten, die heisse Jahreszeit. Doch die Ära der künstlerisch wertvollen Sommersongs ist vorbei. Dies beweist der aktuelle Chart-Erfolg «Layla» eindrücklich.
Publiziert: 17.07.2022 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 17.07.2022 um 07:32 Uhr
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Auch dank der Kontroverse um ihren Song «Layla» auf Erfolgskurs: DJ Robin & Schürze feiern den ersten Rang in den deutschen Single-Charts.
Foto: Instagram djrobin1996 und schuerze_music
Peter Padrutt/Jean-Claude Galli

Der Song ist unterste Schublade. In holprigen Reimen, die so wehtun wie Quallenstiche, besingt das deutsche Duo DJ Robin & Schürze in seinem Ballermann-Song eine «Layla». Sie ist eine Prostituierte. «Ich hab 'nen Puff, und meine Puffmama heisst Layla, sie ist schöner, jünger, geiler», heisst es im aktuellen Sommer-Kracher. Das geht nur mit einem Kübel Sangria runter.

Was ist bloss aus dem guten alten Sommerhit geworden, fragen sich nicht nur Schöngeister. Musikpublizist Jens Balzer (53) ortet beim Party-Song «Layla» musikalisch «einen ornamentlos modellierten Bumsbeat» und stellt die Frage, ob die junge Generation den Sexismus aus den Köpfen verbannt hat.

Trotzdem: «Layla» ist in diesen heissen Tagen der meistgestreamte Song in Deutschland – seit vier Wochen liegt er auf Platz eins. Und in der Schweiz knallte «Layla» von Platz 75 auf Rang 5. Klingt besoffen, ist aber so: Der Song für ein randvolles Publikum hat das Zeug zum Sommerhit.

«Wir spielen diesen Song trotzdem nicht. Weder auf einem Energy-Radiosender noch bei Schlager Radio», hält Energy-Chef Roger Spillmann gegenüber SonntagsBlick fest. «Wir distanzieren uns zudem in aller Deutlichkeit von diffamierenden Themen wie Sexismus und Rassismus.» Der Song figuriert auch nicht auf den Playlists der verschiedenen SRF-Radios. «Der Song passt nicht in unser Programm», sagt SRF-3-Musikchef Michael Schuler. Nicht einmal auf der Schlager-affinen SRF Musikwelle läuft der Titel, «da diese Art von ‹Pop-Dance-Schlager› nicht ins Profil passt».

Verändertes Reiseverhalten beeinflusst den Musikgeschmack

Mit Wehmut erinnern wir uns an unvergessliche Sommerhits zurück, die Sehnsüchte nach Italien weckten und zu Evergreens wurden: «Ti amo» (1977) von Umberto Tozzi (70), «Carbonara» von Spliff (1982) oder «Adesso tu» von Eros Ramazzotti (58) aus dem Jahr 1986 gehören dazu. «Aber die Zeiten, als Familien im Kollektiv mit dem Auto an die Adria fuhren und sich mit lokalen Radio-Sendern einstimmten, sind halt vorbei», stellt der Schweizer Musikpromoter Rolf Schlup fest. Die Identifikation mit dem Ferienland ist viel geringer geworden. «‹Layla›» ist ein Song, der vom Party-People mit viel Alkohol aufgesaugt wird. Schon morgen ist die Flasche leer.»

Die Musik sei schnelllebiger geworden. Alles spiele sich in Sparten ab. «Die jungen Leute nehmen im Flieger das Handy raus und konsumieren ihren eigenen Sound», so Schlup, der seit 45 Jahren im Geschäft ist.

Der grösste Sommerhit aller Zeiten kam 1970 zur Welt. Mit dem Feel-Good-Song «In The Summertime» schuf der Brite Ray Dorset (76) mit seiner Band Mungo Jerry eine Perle für die Ewigkeit. 40 Millionen Mal wurde er verkauft – nur «White Christmas» von Bing Crosby (1903–1977) war erfolgreicher. Mungo Jerrys «Tsch-tsch»-Sound wirbt dieses Jahr auch für Grilladen des Grossverteilers Coop. Das von Dorset entfachte Feuer lodert noch immer.

Sommerhits waren zum Teil auch kurzfristigen Modeströmungen unterworfen, aber einige Kriterien haben sie alle immer erfüllt: Neben einer eingängigen Melodie brauchten sie einen einfachen Text und einen gut tanzbaren Rhythmus. In den 1990ern verrenkten sich Ferienfiebrige dank Latino-Feuer an den Pools und Stränden. Besonders erfolgreich war Lou Bega (47) im Jahr 1999 mit «Mambo No. 5», eine Komposition des Mambo-Königs Perez Prado (1916–1989). Ebenfalls einen Welthit landete DJ BoBo (54) 2003 mit «Chihuahua». «Sommerhits sind leicht, unbeschwert und oft ein wenig verrückt», bringt es der gebürtige Aargauer Bobo auf den Punkt. Warum halten sie sich nicht lange? «Weil man regelrecht zugeballert wird damit. Ist der Sommer zu Ende, geht er einem definitiv auf den Wecker. Irgendwann reicht es schliesslich jedem!»

One-Hit-Wonder und Überflieger

Oft waren Sommerhits Eintagsfliegen von neu aufgetauchten Bands – auch das gehört zu diesem Genre. Nur wenige erinnern sich noch an Dr. Alban (64, «Its' my life», 1992), Mister President («Coco Jamboo», 1996) oder Luis Fonsi (44, «Despacito, 2017). Oft wurden diese Songs einen Sommer lang hochgespült – und im Herbst wieder entsorgt. Aber selten wurden sie zu zeitlosen Überfliegern wie «All Summer Long» von Kid Rock (51) 2008.

Auch der Ein-Promille-Pegel-Song «Layla» wird im Herbst wohl wieder eingemottet. Bald werden die Tage schon wieder kürzer – und die Lust auf Sonne, Strand und Ballermann schwindet. DJ Robin & Schürze werden sich angesichts der Streaming-Zahlen nachträglich noch für die Text-Kontroverse bedanken, die ihrer «Layla» erst so richtig Aufmerksamkeit bescherte. Und sich gleichzeitig grämen, dass sie nicht in den 70ern oder 80ern erfolgreich waren, als man mit einem grossen Hit fürs ganze Leben ausgesorgt hatte.

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