Mögen Sie eigentlich Deutschland?
Jan Delay: Ich hab mich mit Deutschland versöhnt.
Was war Deutschland für Sie früher?
Ein Schimpfwort. Vor 25 Jahren war Deutschland das Gegenteil von mir. Für mich und den Rest der Beginner waren Deutschland die anderen, mit denen wir nichts zu tun haben wollten.
Wieso?
Das war ein anderes Land damals. Deutschland hat in seiner Geschichte Riesen-Scheisse gebaut – und Überbleibsel dieser Zeit waren Mitte der 90er-Jahre immer noch spürbar. Da brannten überall Unterkünfte für Geflüchtete.
Aber die 90er waren auch die Zeit, in der Sie mit den Absoluten Beginnern Hip-Hop im deutschsprachigen Raum populär machten.
Ja, aber unsere Musik war damals eine Subkultur, eine kleine Nische, die man allenfalls in den Städten fand. Das darf man nicht vergessen. Der Rest war Kelly Family, Scooter und Wolfgang Petry. Heute füllen wir Stadien, damals Marius Müller-Westernhagen. Deutschland war musikalisches Brachland.
Was hat sich seither geändert?
So vieles. Alles wurde bunter. An der WM 2006 spielte für uns eine Mannschaft, die diese Vielfalt widerspiegelte. Da waren endlich auch Menschen Deutsche, denen man das vorher nicht zugestand. Das war ein Wendepunkt.
Und musikalisch?
Nach der Neuen Deutschen Welle war deutschsprachige Musik entweder Schlager oder peinlich. Die deutsche Sprache hatte einen Stock im Arsch. Dazu wollte niemand feiern und tanzen. Dann kamen wir. Plötzlich drängte gute Musik mit deutschen Texten in die Charts, gute deutsche Filme in die Kinos.
Sie meinen, Deutschrap hat Deutschland verändert?
Ich meins nicht grosskotzig, aber Bands wie Freundeskreis, Fettes Brot, Fünf Sterne und wir haben zum ersten Mal deutsche Texte in cool ins Radio gebracht. Ohne diese Vorarbeit hätte es die darauffolgende Welle von deutscher Pop-Musik mit Bands wie Wir sind Helden und Juli nicht gegeben. Das war ja gute Pop-Musik. Ich kaufte die Platten selber.
Wie haben Sie Deutsch cool gemacht? Schweizerdeutsch, Hochdeutsch: Das sind ja sehr sperrige Sprachen, die sich nicht gut singen und rappen lassen.
Es passierte in den Jahren 1996 bis 1997. Allen voran ging eine Frau: Cora E. Die hat damals besser gerappt als jeder Typ. Wir fragten uns: Wieso klingt das bei ihr gut und bei uns so scheisse? Dann setzt man sich hin und analysiert. Man beginnt, Konsonanten wegzulassen, Wörter aus dem Hamburger Dialekt wie «Digger» und «Leude» einzubauen, und plötzlich klingt es rund.
Das ist alles?
Das ist harte Arbeit! Eine Erkenntnis war ebenfalls wichtig: Damals rappten wir ja viele politische Texte – wichtig war auch zu realisieren, dass Wörter wie «Bruttosozialprodukt» nie gut klingen werden.
Heute dominieren Rapper wie Capital Bra und Haftbefehl auch in der Schweiz die Charts, die die deutsche Sprache nochmals revolutioniert haben.
Ja, voll! Gerade Haftbefehl hat die deutsche Sprache mit anderen Sprachen – sei es Arabisch, Kurdisch oder Serbokroatisch – vermischt. Dadurch ist nochmals was richtig Neues, Geiles entstanden. Das alles hat mein Verhältnis zu diesem Land echt entspannt. Auch politisch.
Das müssen Sie erklären.
Als Angela Merkel gewählt wurde, dachten wir: Oh nee, was wird das denn jetzt? Und dann steigt die aus der Atomenergie aus und sagt während der Flüchtlingskrise: «Wir schaffen das.» Bald haben wir ja eine grüne Regierung, dann ist eh alles gut (lacht).
Politisch sind Sie aber auch auf Ihrem neuen Album. Das Feindbild heisst nun Nestlé. Wieso?
Weil in den letzten 25 Jahren die Welt unter den Konzernen aufgeteilt wurde. Skandale um Nestlé gibts ja genug. Die Idee, Wasser zu privatisieren – und parallel dazu in Indien mit Riesenbohrern der lokalen Bevölkerung die Quelle abzusaugen –, das ist für mich Nestlé.
Lassen Sie uns zu einem schmerzhaften Thema wechseln.
Okay, was denn?
Fussball. Ihrem Verein Werder Bremen droht der Abstieg aus der Bundesliga.
Ach, wissen Sie, eigentlich bin ich ja ein impulsiver Fan. Aber wenn du in acht von zehn Jahren gegen den Abstieg spielst, dann setzt irgendwann eine Lethargie ein, die die Leidenschaft betäubt. Dann zuckt man nur noch mit der Schulter und denkt: Dann muss der Abstieg halt mal sein.
Sie begleiten Werder Bremen als Fan schon Ihr Leben lang. Umgekehrt gibt es Fans, deren Leben Sie seit 30 Jahren mitprägen. Belastet Sie das?
Nö, wieso?
Weil Fans klare Erwartungen haben. Auf Ihrem neuen Song «Gestern» singen Sie von Leuten, die wollen, dass Sie wieder wie früher klingen.
Das ist eine Begleiterscheinung für jeden Künstler, der schon lange dabei ist. Darum muss auch jeder erfolgreiche Musiker bei diesem Song schmunzeln, egal ob Death-Metal-Gitarrist oder Folksänger. Aber eigentlich ist das doch eine Auszeichnung.
Ihr neues Album wird von afrikanischen und karibischen Rhythmen dominiert. Wann sind Sie zum ersten Mal mit Reggae in Kontakt gekommen?
Ich höre Reggae, seit ich denken kann. Ich durfte bei meinen Eltern zum Glück schon mit vier an die Platten ran – und «Bob Marley Live At Wembley» war als Kind meine Lieblingsscheibe. Der beste Freund meines Vaters spielte als Schlagzeuger in allen Reggae-Bands, die es in Hamburg gab. Waren auch nur zwei oder drei. Die Reggae-Community war sehr, sehr klein – aber ich wuchs quasi in ihr auf.
Und das hat Sie dann musikalisch auch von Anfang an geprägt, wie man schon auf den ersten Aufnahmen der Absoluten Beginner hört.
Voll. Ohne Reggae gäbe es unseren Sound nicht. Über die Mutter meines Beginner-Kumpels Denyo lernten wir das Dennis-Brown-Album «Words of Wisdom» kennen – für mich bis heute das krasseste Reggae-Album. Reggae ist halt wirklich auch so ein Hamburg-Ding.
Wie meinen Sie das?
Wir verbrachten unsere Jugend in autonomen Jugendzentren wie der Roten Flora. Da gab es viele Reggae-Partys, an denen riesige Sound-Anlagen aufgebaut wurden. Das hatte so viel Bass, dass dir fast übel wurde. Eine ganze Generation Hamburger wurde so geprägt. Das war ja noch vor dem Internet. Damals gab es nur, was stattfand.
Sie haben schon Funk-, Soul- und Rock-Alben gemacht. Wo kommt eigentlich dieses hemmungslose Inspirieren durch unterschiedlichste Genres her?
Das erste Drittel meiner musikalischen Prägung ist die Plattensammlung meiner Eltern. Ihr Geschmack war so breit und gut. Natürlich fand ich auch ein paar Dinge scheisse ...
Was denn?
Mein Vater hat irgendwann Björk für sich entdeckt. Wenn ich samstags lange weg war, hat er sonntagmorgens vor meiner Tür gebügelt und dazu Björk gehört (lacht). Schrecklich.
Das zweite Drittel?
Meine Stadt Hamburg. Wir sind eine Hafenstadt, da kamen schon immer von überallher Dinge. Das Wort «fremd» gibts hier nicht. Wir haben gecheckt, dass Neugier das Spannendste ist auf der Welt, das macht dann halt auch vor Musik und Gewürzen nicht halt. Das dritte Drittel ist dann Hip-Hop.
Inwiefern?
Hip-Hop war für jemanden wie mich das Paradies. Da taucht plötzlich eine Kultur auf, die mir sagt: Du kannst von überallher alles nehmen, was du gut findest, und daraus dein eigenes Süppchen kochen.
Nun haben Sie ein neues Album und können damit nicht auf Tour. Was tun Sie jetzt?
Ich hoffe, wir können so Strandkorb-Konzerte machen – 1000 Strandkörbe, in denen je zwei Leute sitzen. Das wär cool. Daran klammere ich mich. Aber ich vermisse die Clubs fast noch mehr als Konzerte.
Wieso?
Gerade diese Platte würde ich so gerne in Clubs auflegen. Dafür ist sie gemacht.
Aber eben: Was tun Sie jetzt?
Arschbacken zusammenkneifen und abwarten.
Jan Eissfeldt alias Jan Delay gehörte mit den Beginnern (bis 20xx Absolute Beginner) zu den Pionieren des Deutsch-Rap. Seit 2001 ist er auch als Solo-Künstler aktiv. Delay mischt in seiner Musik Reggae, Funk, Soul, Rock und Hip-Hop. Seit 2006 hatte Delay solo und mit den Beginnern fünf Nummer-1-Alben – und zählt damit zu den erfolgreichsten Künstlern Deutschlands. Jan Delay lebt in seiner Heimatstadt Hamburg und hat eine Tochter.
Jan Eissfeldt alias Jan Delay gehörte mit den Beginnern (bis 20xx Absolute Beginner) zu den Pionieren des Deutsch-Rap. Seit 2001 ist er auch als Solo-Künstler aktiv. Delay mischt in seiner Musik Reggae, Funk, Soul, Rock und Hip-Hop. Seit 2006 hatte Delay solo und mit den Beginnern fünf Nummer-1-Alben – und zählt damit zu den erfolgreichsten Künstlern Deutschlands. Jan Delay lebt in seiner Heimatstadt Hamburg und hat eine Tochter.