Es ist der wohl aufwühlendste Konzertfilm einer Schweizer Rockband: Das «MTV Unplugged»-Konzert von Patent Ochsner geht unter die Haut. Selbst dem Frontmann der legendären Berner Mundartband, Büne Huber (59), kamen beim Anschauen die Tränen. Am Freitag wird er bei SRF ausgestrahlt.
Blick: Wir haben Ihren Konzertfilm zusammen im Kino angeschaut. Wie war es für Sie, sich auf Grossleinwand zu sehen?
Büne Huber: Sehr speziell. Normalerweise schaue ich an Konzerten ins Publikum und bekomme gar nicht richtig mit, was die Musiker um mich herum machen. Jetzt zu sehen, mit welcher Hingabe sie sich unserer Musik widmen, war extrem berührend. Bei einer Szene kamen mir sogar die Tränen.
Und die eigene Wahrnehmung?
Nun ja. Da fällt einem natürlich auf, dass man ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hat. Weniger wären wahrscheinlicher sexyer. Aber damit muss ich leben (lacht).
Lieder wie «Scharlachrot» oder «W. Nuss vo Bümpliz» begleiten uns schon Jahrzehnte. Wie hält man solche Hymnen für sich selber frisch?
Indem man ihnen wie durch diese Unplugged-Geschichte versucht, neues Leben einzuhauchen. Als wir im Januar 2021 mit der Planung anfingen, hatten wir 54 Songs auf der Liste, die wir gerne spielen wollten. Am Ende schafften es nur 25. Nicht alle Lieder altern gleich gut.
Gibt es auch Lieder, die Sie nicht mehr singen können, weil Sie Ihnen verleidet sind?
Klar. Ich habe mich als Mensch in all der Zeit ja auch verändert. Natürlich gibt es Songs, die für mich nicht mehr dieselbe Dringlichkeit haben. Oder die vielleicht mal aus einer Laune entstanden sind, die ich heute nicht mehr nachvollziehen kann. Das sind Songs, die es dann nicht auf die Reise schafften, die höchstens bei einer einzigen Tournee dabei waren.
«Scharlachrot» singen Sie noch immer voller Inbrunst.
Ja. Polo Hofer sagte mir einst, dass ich den Tag bereuen werde, an dem ich «Scharlachrot» geschrieben habe, weil ich es bis ans Lebensende singen müsse. Ich antwortete ihm: «Hey, das ist nun eben mein ‹Alperose›.» Aber falls ich dieses Lied tatsächlich mal nicht mehr singen möchte, werde ich es auch nicht mehr tun, selbst wenn das Publikum es weiterhin hören will. So halte ich es mit allen Songs: Sind sie für mich abgelutscht, fliegen sie raus.
Sie sagten kürzlich, das Unplugged-Projekt habe Ihnen geholfen, der Corona-Lethargie zu kommen. War die Pandemie für Sie so schlimm?
Es war und ist noch immer eine schwierige Zeit, künstlerisch, meine ich. Ich fühle mich irgendwie erschossen. Ich bin null der Zahlen-Freak, täglich um die Ohren geschmissen zu bekommen, wie viele Neuansteckungen und Todesfälle es gab, laugte mich aus. Es gibt doch noch ein anderes Leben neben Corona. Aber davon bekam ich nicht mehr viel mit. Daher war dieses Projekt tatsächlich eine Art Befreiung.
Und wie lief es mit der Familie?
Überraschend gut. Wir liessen die Kinder, sie sind fünf und sechs, mehr fernsehen. Wir lösten auch andere alte Strukturen auf. Jeder konnte schlafen und essen, wann er wollte. Es spielte keine Rolle mehr, ob meine kleine Julie jetzt plötzlich mitten in der Nacht mit mir rumhängen wollte. Ich und mein Sohn Max verbrachten herrliche Nächte in der Hängematte auf der Terrasse. Aber klar, wir leben glücklicherweise nicht in einer kleinen Zweieinhalbzimmerwohnung, in der man sich schon nach vier Tagen auf die Nerven geht. Nun scheinen aber für alle wieder bessere Zeiten zu kommen.
Sie werden am 27. Februar 60 Jahre alt. Planen Sie eine Party?
Meine Frau will etwas im Geheimen machen. Ich sagte ihr: «Darling, bitte, ich wäre froh, wenn das keine allzu grosse Sache wird.» Grund: Patent Ochsner spielt tags darauf eine «MTV Unplugged»-Show im Casino Bern. Ich kann es nicht riskieren, an Corona zu erkranken. Also machen wir erst im Sommer eine Fete.
Ist der 60. eine grosse Sache für Sie?
Nein. Weder besonders ruhmreich, noch besonders tragisch. Ich hatte Mühe mit meinem 40., auch mit dem 50. Mein 60. Geburtstag hingegen ist recht easy. Ich habe eine herzige Familie, bin mit einer guten Band unterwegs. Eigentlich läuft alles sehr gut momentan.
Was konkret macht Ihr Leben so gut?
Neben Patent Ochsner? Meine älteste Tochter Hannah ist 24, sie hat zwei kleine Kinder. Ich bin also Grossvater. Gleichzeitig habe ich ebenfalls noch zwei kleine Kinder. Wenn alle beisammen sind, ist das ein gewaltiges Gaudi.
Würden Sie nochmals 20 sein wollen?
Die Verunsicherung von damals vermisse ich nicht, die Vitalität hingegen schon. Beim Aufstehen tut mir heute manchmal der Rücken weh, das hatte ich früher nie. Als ich mit 35 Hannah durch die Nacht trug, weil sie schlecht geträumt hat, konnte ich das easy wegstecken. Als ich mit 54 Max durch die Nacht trug, hatte ich am nächsten Tag das Gefühl, ich müsste in die Behandlung. So ist das Leben, wir bauen ab im Alter.
Das Leben ist fragil. Letzte Woche starb Endo Anaconda, Kuno Lauener von Züri West leidet an Multipler Sklerose.
Endo und ich waren uns sehr nahe. In den 90er-Jahren fuhr er Behindertentaxi, er war der Chauffeur meines Vaters, der mit 49 in den Rollstuhl rutschte. Die Beziehung mit Endo war also fast familiär. Er hat mir oft den Whiskey weggetrunken. Mit der Fragilität des Lebens wurde ich allerdings schon früher konfrontiert – durch den Tod meines Vaters 1993. Oder auch als es darum ging, ob ich mit 54 nochmals Vater werden wollte. Es braucht nicht viel, bis etwas zutiefst Entscheidendes im Leben passiert. Im Guten wie im Schlechten.
Büne Huber kam 1962 in Bern-Bümpliz zur Welt. Er lernte Schlosser und machte eine Ausbildung zum Sozialpädagogen. Dann gründete er 1990 Patent Ochsner und landete mit «Scharlachrot» und «Bälpmoos» gleich zwei Riesenhits. Seither sind Patent Ochsner aus der Schweizer Musikszene nicht mehr wegzudenken. Huber, der auch als Maler erfolgreich ist, lebt in Bern und hat drei Kinder: Hannah (24), Max (6) und Julie (5).
Büne Huber kam 1962 in Bern-Bümpliz zur Welt. Er lernte Schlosser und machte eine Ausbildung zum Sozialpädagogen. Dann gründete er 1990 Patent Ochsner und landete mit «Scharlachrot» und «Bälpmoos» gleich zwei Riesenhits. Seither sind Patent Ochsner aus der Schweizer Musikszene nicht mehr wegzudenken. Huber, der auch als Maler erfolgreich ist, lebt in Bern und hat drei Kinder: Hannah (24), Max (6) und Julie (5).
Trinken Sie weniger heute?
Ja. Während des Lockdowns hiess es für mich und meine Liebste aber schon oft: «Es ist 17 Uhr, lass uns einen feinen Weissen auftun.» Wir kochten viel, tranken aber auch massiv mehr als früher. Ich musste noch das Hubstapler-Brevet machen, um jeweils das Leergut entsorgen zu können. Beim Altglas witzelten wir vor den anderen immer: «Wir sind schon liebe Menschen, dass wir für Frau Brönnimann auch noch die Flaschen mitgenommen haben.»
Welche Träume haben Sie noch?
Einerseits möchte ich alt genug werden, um miterleben zu können, wie die Kinder in die Welt hinaus gehen. Anderseits will ich noch weitere Ochsner-Alben machen. Mit jeder Platte fängt man ja wieder von vorne an.
Wird das nicht einfacher, wenn man es schon zehnmal gemacht hat?
Nein, denn man muss immer gegen Wiederholungen kämpfen. Das zwanzigste Liebeslied zu schreiben, ist schwieriger als das erste. Als wir unsere erste Platte veröffentlicht hatten, glaubte ich nicht, länger als ein Jahr Musik machen zu können. Rückblickend sagt das auch etwas darüber aus, was für einen Stellenwert die Schweizer Musik in den 90er-Jahren hatte. Damals konnte kaum jemand diesen Job professionell ausüben.
Und jetzt leben Sie seit über 30 Jahren davon.
Genau. Ich bin kein Nostalgiker. Aber natürlich denke ich manchmal, was für ein fantastisches Leben ich führe. Ich habe den spannendsten Job der Welt voller wunderbarer Facetten, dazu bin ich auch noch Hausmann. Genial! Was aber nicht bedeutet, dass ich keine Krisen hatte.
Sie sprechen von Ihrer Depression vor zehn Jahren.
Ja, ich hatte keine Ahnung, ob ich je wieder aus dieser dunklen Welt herauskommen kann. Klar, ich habe melancholische Züge, aber ich rechnete nie damit, dass ich eine depressive Veranlagung habe. Ich war blockiert, kam kaum mehr aus dem Bett, verlor jeden Bezug zur Welt da draussen, nichts hatte mehr eine Bedeutung. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich keinen Zugriff mehr auf meine Werkzeuge.
Wie beugen Sie vor, dass Sie keinen Rückfall mehr haben?
Indem ich früh genug zu erkennen versuche, wo meine Grenzen sind. Und das gelingt mir mittlerweile sehr gut. Ich bin aber auch dank meiner neuen Familie recht gut ausbalanciert. Bringe ich die Kinder morgens in den Kindergarten, habe ich bis Mittag Zeit für meine Sachen. Dann sind wieder die Kleinen im Mittelpunkt. Früher war ich konstant mit mir und meiner Arbeit beschäftigt, das laugte mich aus. Heute eiere ich weniger im Zeugs herum.
Werden Sie mit 70 noch auf der Bühne stehen?
Ich hoffe es. Ich kann es mir nicht vorstellen, ohne Musik zu leben. Das Bedürfnis, der Welt Formen, Farben und Klänge zu verleihen, erlischt nicht mit dem Alter. Ich wünsche mir, dass ich das möglichst lange mit Würde tun kann.
Was meinen Sie, welcher Song aus Ihrer langen Karriere ist der ultimative Huber-Song?
«Für immer uf di», den ich erst kürzlich geschrieben habe. Bei diesem Lied habe ich das Gefühl, dass es am besten meine Fähigkeiten und Gefühle auf den Punkt bringt. Der Song ist meine Seele. Er vereint Tod, Abschied, Wiedergeburt, Glück, meine sterbende Mutter ist darin, meine Kinder. Der Song ist Huber. Eigentlich hätte ich ihn «Huber» taufen sollen (lacht).
Neue CD: Patent Ochsner «MTV Unplugged» (ab Freitag im Handel)
TV: Freitag, 11. Februar, ab 20.35 Uhr, SRF 2