Nachdem der Titel von «The Zone of Interest» langsam erlischt, taucht uns Regisseur Jonathan Glazer (58) in ein erdrückendes Schwarz. Eine Dunkelheit, die nicht enden will – so lange, bis im Saal die Ersten anfangen, zu tuscheln, zum Projektor hoch schielen und beginnen, ihren Sitznachbar zu fragen, ob das normal sei, dass der Film einfach nicht anfängt.
«Normal» ist an «The Zone of Interest» nichts. Normal sind nicht die Umstände, die er beschreibt, normal sind nicht seine Protagonisten, normal ist nicht das fröhliche Familientreiben am See, das auf die erblindende und zugleich ohrenbetäubende Dunkelheit der Anfangsminuten folgt. «The Zone of Interest» ist unerträglich. Unerträglich, weil er die scheinbare Banalität des Grausamen auf bisher ungekannte Art und Weise zur Kunstform erhebt. Weil er zeigt, wie eine Familie offenbar unbehelligt im Schatten des grössten Vernichtungslagers der Menschheitsgeschichte die eigenen Pflanzen mit der Asche vergaster und verbrannter Jüdinnen und Juden düngt und ein Leben in Saus und Braus führt.
«Da wächst doch bald der Wein»
«The Zone of Interest», der 2023 in Cannes Premiere feierte, ist 30 Jahre nach «Schindlers Liste» der beste Film, der den Holocaust thematisiert. Weniger explizit, aber umso brutaler und äusserst subtil. Subtil auch, weil Auschwitz-Kommandant Rudolf Höss (1901–1947) «nur Befehle ausgeführt» habe, wie er kurz vor seinem Galgentod zu Protokoll gab. Psychologische Gutachten ergaben, der Deutsche sei zwar ein überzeugter Nationalsozialist gewesen, vielmehr aber ein «gewissenhafter» Arbeiter, der nicht wie «Schindlers Liste»-Pendant Amon Göth (1908–1946) eigenhändig Jüdinnen und Juden ermordete, sondern vielmehr an der minuziösen Umsetzung eines Plans interessiert war. Höss' Part spielt der deutsche Schauspieler Christian Friedel (44) mit erschreckender Präzision und kalter Gleichgültigkeit. Übertrumpft wird er lediglich von Sandra Hüller (45), die seine Frau Hedwig (1908–1989) darstellt. Sie bricht in Tränen aus, weil sie angesichts der Versetzung ihres Mannes die Gefahr wittert, ihr «Traumhaus» an den Mauern des KZ verlassen zu müssen. «Weil da doch bald der Wein wachsen wird.»
Hüllers Spiel ist genauso furchterregend wie genial. Das Schlimmste an «The Zone of Interest» ist aber die Stille: Der Film wird erst durch seinen Mangel an Dialog und den gezielten Einsatz von Andeutungen so unvergleichlich. Während im Vordergrund das Wasser des Pools plätschert, mischen sich unter das kindische Gekeife der gemeinsamen Höss-Sprösslinge die Schreie jüdischer Kinder auf dem Weg in die Gaskammer.
Wie reagiert die deutsche Kulturszene?
Es wird überaus interessant, zu beobachten, wie Glazers Film im Nachgang zur Antisemitismus-Diskussion an der Berlinale in Deutschland aufgenommen wird. Dort hat ein Instagram-Account des Festivals ein Bild des zerstörten Gaza gepostet – und es mit dem Schriftzug «The Zone of Interest» versehen. Die Berlinale hat sich mittlerweile vom Post distanziert und führt ins Feld, dass der Account gehackt worden sei. Spätestens nach dem Startwochenende des Films dürfte sich die deutschsprachige Kulturszene dennoch fragen, wie statthaft solche Vergleiche überhaupt sind.
«The Zone of Interest» startet Donnerstag in den Deutschschweizer Kinos.
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