In diesem Kino-Sommer sah ich bereits, wie Hunderte Superhelden auf ein Schlachtfeld flogen. Wie ein Monster-Reptil ganze Städte pulverisierte. Wie ein Mädchen eine glühende Macht aus dem All entfesselte. Doch kein Kino-Effekt war annähernd so beeindruckend wie der Moment in «They Shall Not Grow Old», als die britischen Soldaten die Front des Ersten Weltkriegs erreichen.
Denn die schwarz-weissen Originalaufnahmen, zittrig und grob, erstrahlen plötzlich in Farbe. Das Bild schärft auf, Stimmen und Geräusche sind zu hören, die Bewegungen sind nicht mehr zackig wie in einem Film von Charlie Chaplin (1889–1977). Aufnahmen, die über 100 Jahre alt sind, sehen plötzlich so aus, als wären sie in den 70er-Jahren gedreht worden. Eine technische Errungenschaft, die ihresgleichen sucht!
Keine Experten, kein Erzähler
Regisseur Peter Jackson (57) sichtete für seine Dokumentation Hunderte von Stunden an Filmmaterial, das ihm von dem britischen Imperial War Museum zur Verfügung gestellt wurde. Danach wurden die Filmrollen digital wiederhergestellt und eingefärbt. Sein Team vertonte die Szenen ausserdem mit Hilfe von Lippenlesern und Schauspielern. Dass der Film daneben auf Erzähler und Experten verzichtet und nur Männer zu Wort kommen lässt, die auch tatsächlich an der Front kämpften, bringt den Zuschauer noch näher in die Schützengräben. «They Shall Not Grow Old» erhält so eine menschliche Komponente, die man in vielen Kriegsdokumentationen vergeblich sucht. Auch wenn wir keine Gesichter zu den Erzählern haben: Ihre Worte formen eine Sicht auf den Krieg, die persönlicher nicht sein könnte.
Der Alltag eines Soldaten
Wir sehen ausserdem, wie die Soldaten lachen, singen, sich rasieren, auf die Toilette gehen – und sterben. Denn der Film schreckt nicht davor zurück, auch Leichen, Verstümmelungen und Amputationen in Farbe zu zeigen. Das Rot des Blutes sticht zwischen dem braunen Schlamm und den grünen Uniformen unangenehm ästhetisch hervor.
Dass der Erste Weltkrieg eines der grossen Übel der Menschheit war, ist nicht in Vergessenheit geraten. Doch dass die Männer, die in den Schützengräben zwischen Ratten, Schlamm und Giftgas ihr Leben liessen, Menschen mit Träumen, Gedanken und Ängsten waren, geht neben dem grossen Ganzen oft unter. «They Shall Not Grow Old» ruft einem dies dringlich in Erinnerung. Und ist deshalb ein Film, den man gesehen haben muss.
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