Sechs Minuten Fantasy erregen die Gemüter. Im Kurzfilm «Reflect» (zu Deutsch: Spiegeln, aber auch: Nachdenken) setzt der US-Mediengigant Disney auf die erste Plus-Size-Heldin. In den sozialen Medien wird die kurvige Ballerina Bianca kontrovers diskutiert. Wie viele ihrer Zeitgenossinnen kämpft sie damit, dem schlanken Schönheitsideal nicht zu entsprechen. Bianca tanzt sich frei, überwindet Ängste und Unsicherheiten, lernt ihren Körper zu lieben.
«Als ich 16 war, bevor ich mit dem Ballett aufhörte, weil ich nicht mehr das dicke Mädchen in der Klasse sein wollte, hätte ich diesen Film gebraucht. Ich bin froh, dass die Kleinen ihn jetzt haben», schreibt eine Twitter-Userin. Mit ihrer Meinung steht sie nicht allein, doch es gibt auch Gegenstimmen. Tiktokerin Linda Dianne meint: «Es ist offenbar nicht möglich, eine Plus-Size-Figur zu zeigen, ohne dass den ganzen Film lang über ihr Körperbild geredet wird. Für mich ist es ein Schritt vorwärts und zwei Schritte zurück.»
Die Walt Disney Company ist einer der fünf grössten Medienkonzerne der Welt, hat es aber lange versäumt, Diversität in ihre Fantasyfilme zu bringen: Noch immer setzen viele Cinderella und Dornröschen mit einer weissen, dünnen Frau gleich, die nur durch einen männlichen Prinzen gerettet werden kann. Nun aber zwangen Zeitgeist und Wokeness, das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit und eine gesteigerte Sensibilität für Themen wie Sexismus, Rassismus und Diskriminierung die Macherinnen und Macher dazu, neue Figuren auf die Leinwand zu bringen.
Mariah Carey freut sich auf die emanzipierte Arielle
Die Rolle von Arielle, der Meerjungfrau, wird nun mit der schwarzen Schauspielerin Halle Bailey (22) besetzt. Ende Mai 2023 kommt die Neuverfilmung in die Schweizer Kinos. Superstar Mariah Carey (52) schrieb: «Herzlichen Glückwunsch, Halle! Meine Kinder und ich sind gespannt auf die emanzipierte Arielle!» Die Gegner kritisieren unter dem Hashtag #NotMyAriel – «Nicht meine Arielle» –, eine schwarze Meerjungfrau stelle kulturelle Aneignung dar, letztlich also einen Fall von Rassismus. Disney reagierte mit der Feststellung, der Autor des Märchens sei Däne gewesen, und sein fiktiver Charakter Arielle habe in der Unterwasserstadt Atlantica gelebt. Daher sei die Figur nicht an weltliche Nationalitäten gebunden.
Mit der ersten lesbischen Polizistin Spector im Animationsfilm «Onward» erfüllten Disney und Pixar 2020 die Wünsche vieler Fans. Offiziell sprach sich das Unternehmen damit für die Freiheit der sexuellen Orientierung aus, was weltweit zu Kontroversen führte. Oman, Kuwait, Katar und Saudi-Arabien verboten den Film, in Russland wurde er so vertont, dass Spector nicht mehr als lesbisch erkennbar ist.
«Erzwungene Diversität – ein nerviger Trend»
Ebenfalls vor zwei Jahren kam mit der Serie «Willkommen im Haus der Eulen» mit Luz Noceda zum ersten Mal eine bisexuelle Hauptfigur auf die Bildschirme, was Begeisterung auslöste – aber auch einen Shitstorm: «Sexuelle Orientierung hat in einem Kinderfilm nichts verloren», hiess es. Oder: «Erzwungene Diversität. Was für ein nerviger Trend!»
Dass Disney verstärkt auf Figuren baut, die nicht den stereotypen Gender-Klischees entsprechen, hat allerdings nicht nur mit dem veränderten Zeitgeist zu tun. Es geht auch um die Erschliessung neuer Zielgruppen. Also um Geld, viel Geld.