Schweizer Swifties im Ausnahmezustand: Taylor Swift (34), der derzeit wohl grösste Star der Welt, gibt zwei Konzerte im Zürcher Stadion Letzigrund. Mit ihrer rekordverdächtigen Welttournee und einem Musikkatalog, der die Hitparaden dominiert, ist die US-Amerikanerin ein Popstar der Superlative. Die Sängerin, deren Vermögen auf 1,1 Milliarden Dollar geschätzt wird, gehört laut «Forbes» zu den aktuell fünf mächtigsten Frauen der Welt und hat Einfluss auf das kulturelle, politische und wirtschaftliche Geschehen unserer Zeit. Wie das alles möglich ist, erklärt uns Jörn Glasenapp (53), Professor für Kultur- und Medienwissenschaft an der deutschen Universität Bamberg. Der Experte, der auch Swift-Professor genannt wird, hat in der Reihe «100 Seiten» bei Reclam ein Buch über Taylor Swift herausgebracht.
Herr Glasenapp, wie wird man Swift-Professor?
Jörn Glasenapp: Tatsächlich bin ich als Swiftie erst spät eingestiegen (lacht). Als Medienwissenschaftler mit Schwerpunkt Popkultur hab ich Swift als Sängerin natürlich schon länger wahrgenommen. Aber erst beim Album ‹Midnights› 2022 habe ich ihre Musik und Liedtexte richtiggehend inhaliert und fand sie grossartig. Daraufhin habe ich mir alle ihre Alben und Songs angehört. In dieser Zeit ist auch die Idee für das Reclam-Buch entstanden.
Was war das Überraschendste, was Sie bei der Recherche zu Ihrem Buch erfahren haben?
Am interessantesten und beunruhigendsten war für mich, wie Taylor Swift in der Vergangenheit von der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung vereinnahmt und bisweilen als ‹arische Göttin› bezeichnet wurde. Wie diese Leute Swift als blonde, blauäugige Normschönheit für ihre unsägliche rassistische Politik nutzbar machen wollten, ist erschreckend und gruselig. Zum Glück liessen die Rechten von Swift ab, nachdem sie sich immer liberaler und diverser positioniert hatte.
Jörn Glasenapp, geb. 1970, ist Inhaber des Lehrstuhls für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (D). Er hat zu zahlreichen popkulturellen, film- und literaturwissenschaftlichen Themen publiziert und ist Mitglied der Bands Sisyphos & The Fuzzy Few und Blood Meridian (Gitarre, Gesang). Glasenapp gibt Seminare und Vorlesungen zu Taylor Swift und hat ein Reclam-Buch über den Popstar geschrieben.
Jörn Glasenapp, geb. 1970, ist Inhaber des Lehrstuhls für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg (D). Er hat zu zahlreichen popkulturellen, film- und literaturwissenschaftlichen Themen publiziert und ist Mitglied der Bands Sisyphos & The Fuzzy Few und Blood Meridian (Gitarre, Gesang). Glasenapp gibt Seminare und Vorlesungen zu Taylor Swift und hat ein Reclam-Buch über den Popstar geschrieben.
Was macht Taylor Swift zum erfolgreichsten Popstar der Welt?
Ich glaube, es ist eine Kombination aus mehreren Punkten. Taylor Swift hat die Zeit der Pandemie auf eine Weise genutzt, wie niemand sonst in der Musikindustrie. Anstatt sich zurückzuziehen, hat sie produziert und ein Album nach dem anderen herausgebracht: ‹Folklore›, ‹Evermore›, ‹Midnights› und dann die ganzen Taylor's Versions, Neuauflagen alter Erfolgsalben. Und alle diese Alben wurden Nummer eins, gewannen Grammys. Dann glaube ich, dass in Zeiten, in der hypermaskuline und toxische Männer wie Trump, Putin oder Xi in China die Weltpolitik dominieren, Taylor Swift eine Welt der Inklusion und Diversität repräsentiert. Eine Welt, in der Freundschaftsbänder und Freundlichkeit dominieren und in der alle willkommen sind.
Gerade bei Themen wie Inklusion und Diversität stören sich allerdings viele daran, dass Taylor Swift als weisse, heterosexuelle Frau und den damit einhergehenden Privilegien gegenüber einer schwarzen Sängerin wie Beyoncé klar im Vorteil sei.
Ja, das ist leider so. Beyoncé ist eine unglaubliche Künstlerin. ‹Cowboy Carter› ist ein fantastisches Album. Als es rauskam, war es ein Riesenhit. Und dann, kurze Zeit später, erschien Taylor Swifts neues Album ‹The Tortured Poets Department›, und niemand sprach mehr über ‹Cowboy Carter›. Dasselbe passierte bei Billie Eilishs neuem Album. Das wurde Mitte Mai wie eine Randnotiz abgehandelt. Taylor Swift raubt allen anderen Künstlern die Luft zum Atmen. Natürlich kommt bei Beyoncé noch dazu, dass sie als schwarze Künstlerin in unserer Welt leider nicht so mehrheitsfähig ist wie Swift. Taylor Swift ist als weisse, normschöne Frau, die auch, was ihren Feminismus anbelangt, eher zurückhalten ist, gegenüber Beyoncé klar im Vorteil, und das ist sehr, sehr deprimierend.
Wenn es um die Faszination Taylor Swift geht, werden auch immer wieder ihre Songtexte genannt. Wie wichtig sind die?
Sehr wichtig. Die Texte sind einer der Hauptgründe, dass jemand zum Swiftie wird. Taylor Swift ist eine Meisterin darin, aus ihrer eigenen Situation heraus sehr subjektive Texte zu schreiben, aber auf eine Art und Weise, dass sich jeder und jede in diesen Texten finden kann. Ihre Songs sind anschlussfähig für Fans aus den unterschiedlichsten Kulturen und Ländern. Das sieht man aktuell auch gut bei der ‹Eras›-Tour.
Haben Sie Taylor Swift jemals persönlich getroffen?
Nein, noch nicht. Ich habe sie bisher auf drei Konzerten gesehen und beim Konzert in Lissabon stand ich in der ersten Reihe. Das war ein interessanter Realitätscheck, diesen Superstar einmal so nah zu sehen. Aber mehr nicht. Da bin ich nicht Swiftie genug, dass ich sage: ‹Oh, Taylor einmal die Hand schütteln, da würde ich sterben vor Glück.› Ne, dazu bin ich vielleicht auch einfach zu alt (lacht).
Wie kann es denn für einen Star, der schon ganz oben ist, überhaupt noch weitergehen?
Das ist eine sehr gute Frage. Dass es bei Taylor Swift irgendwann zu einem Qualitätsabfall kommt oder die Leute plötzlich genug von ihr haben, glaube ich nicht. Aber möglicherweise werden bei ihr bald private Aspekte in den Vordergrund treten. Vielleicht eine Hochzeit und ein Baby? Wer weiss. Aber Swift ist und bleibt ein Workaholic, sie liebt ihre Kunst. Das heisst, auch mit Kind und mit Travis Kelce als Ehemann würde sie ein Album nach dem nächsten herausbringen und – was bei ihr besonders wichtig ist – nahe bei ihren Fans bleiben.
Was meinen Sie mit «nahe bei ihren Fans bleiben»?
Taylor Swift ist die Künstlerin, die Social Media am besten verstanden hat. Sie nutzt sie seit ihrem Country-Debüt 2006, als es noch gar nicht üblich war, über diesen Weg mit den Fans zu interagieren. Insbesondere mit dieser Social-Media-Affinität schafft Swift diese legendäre Nähe zu ihren Fans. Und sie beobachtet ihre Fans auch sehr gut, weiss, was sie bewegt. Jedem Unternehmen wird gesagt: «Kenne deine Kunden.» Und Taylor Swift kennt ihre Kundinnen und Kunden sehr genau.