Eigentlich wollte Singer-Songwriterin Lea Lu (38) uns in ihrer Stube frischen Espresso servieren. Eine Erkältung verhinderte das persönliche Treffen aber. Dafür entschuldigte sich die Frau mit der melancholischen Pop-Stimme dann am Telefon: «Ich fühle mich etwas schlapp heute.» Das scheint aber zu verfliegen, sobald sie von Indien erzählt – vom Chaos in Delhi oder den Sonnenuntergängen in der Wüste von Rajasthan. «Es ist speziell: Ich lande in Indien – und fühle mich zu Hause.»
Ihre Liebe zu diesem Land in Südasien rührt von einer Hochzeit her, an der sie spielte. Das ist drei Jahre her. Damals habe sie gemerkt, «dass da eine ganz spezielle Verbindung entsteht». Da traf es sich, dass Manvendra Singh Shekhawat (38), der Besitzer des Hotels, in dem die Feier damals stattfand, Musiker und Poet ist. «Während der Pandemie hat er ein Gedicht über Hoffnung geschrieben und es mir geschickt. Daraus haben wir einen Song produziert, in Jaipur und in Zürich.» Als die Reise-Restriktionen aufgehoben wurden, war für Lea Lu klar: Sie musste zurück, um die Energie, die Farben und die Gerüche Indiens aufzusaugen. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres setzte sie sich ins Flugzeug.
Jodeln im alten Palast
Der knapp dreiwöchige Aufenthalt sei von «vielen magischen Momenten» geprägt gewesen. Einer dieser Momente habe sich an Weihnachten zugetragen: «Ich habe die Festtage zum ersten Mal nicht daheim verbracht. An Heiligabend bin ich melancholisch durch den Park des Hotels spaziert, als mich plötzlich eine ältere Frau am Arm packte – und plötzlich haben wir zusammen getanzt und uns wie Kinder im Kreis gedreht.» Apropos Melancholie: «Am ersten Abend sind wir mit einer Kamel-Kutsche dem Sonnenuntergang entgegengefahren. Da sind mir die Tränen gekommen. Obwohl die Wüste so unendlich weit ist, habe ich mich sehr verbunden gefühlt.»
Nebst persönlichen Begegnungen und Naturspektakeln stand auch Arbeit auf dem Programm der Zürcherin. Zusammen mit Mavendra Singh Shekhawat nahm sie jeweils nachmittags in der sengenden Hitze der Wüste von Thar ein Musikvideo auf. Die Gegend mit den Dünen im Westen des Landes ist auch bekannt für ihre verlassenen Paläste – wo Lea Lu bei ihren Erkundungstouren auf Räume stiess, die «wahnsinnig besondere akustische Eigenschaften haben». Ein altes, ausgetrocknetes Wasserreservoir funktionierte sie kurzerhand zur Bühne für einen indischen Alpsegen um. «Plötzlich ist mir ein alter Schweizer Jodel in den Sinn gekommen. Meine indischen Freunde waren total fasziniert», sagt sie lachend.
Nichts wie zurück
Schon im März reist die Zürcherin wieder nach Indien, dieses Mal für einen Atelier-Aufenthalt mit anderen Musikern aus Paris und New York. Dann will sie die Akustik der vielen leeren Palast-Räumlichkeiten noch besser ausloten. Die Vorfreude ist Lu deutlich anzuhören: «Es mag seltsam klingen, aber ich fühle mich wohl, wenn ich einen Turban trage, nicht verkleidet.» Den Kulturschock, den so viele bei ihrer Ankunft in Indien hätten, habe sie bei ihrer Rückkehr gehabt. «Mir gefällt, dass in Indien nichts planbar ist. In der Schweiz läuft ja meist alles nach Protokoll ab.» Einen Plan, ob sie für immer hierbleibt oder ihr Leben nach Südasien verlegt, hat sie übrigens auch noch nicht.