«Aftersun» ist ein Film, den man fast riechen kann. Er duftet nach Stracciatella-Glace, einer kaputten Klimaanlage im Familienauto und nach «Après-Soleil». Die weisse Creme streichen Eltern weltweit ihren Kindern ins Gesicht, um Sonnenbränden vorzubeugen. Im Debüt der Schottin Charlotte Wells (35) lässt die junge Sophie (Frankie Corio, 13) die Prozedur während der Türkei-Ferien mit ihrem Vater Calum (Paul Mescal, 27) etwas widerwillig über sich ergehen. Immer wieder aufs Neue.
«Aftersun» ist eine Sammlung von Momenten, die jeder und jede genau so erlebt haben könnte. Und doch ist der Film persönlich und intim. Denn er setzt die Erinnerungen der Regisseurin ins Zentrum, die sie an einen Tochter-Vater-Urlaub in den 90ern hat.
SonntagsBlick: Frau Wells, wenn ich an meine ersten Sommerferien denke, kommt mir sofort der Geruch des alten VW-Passats meiner Eltern in den Sinn. Was ist es bei Ihnen?
Charlotte Wells: Bei mir ist es definitiv der heisse Sand, auf den ich sofort zugestürmt bin. Er war zu heiss. Und ich stand da und schrie, bis mich meine Mutter geholt hat. An diesem Tag hatte sie mich ins Kindercamp geschickt – und ich bin abgehauen.
In «Aftersun» gibts einige solcher Szenen. Sie haben mal gesagt, dass die Idee für den Film entstand, als Sie sich alte Fotos Ihres Vaters ansahen.
Ja, aber das ist sicher nicht alles. Es ist eher, was Sie jetzt gerade angesprochen haben: Ich wollte diese Gefühle, die Gerüche und alles, was zu den ersten Ferien gehört, wieder hervorrufen. Zum Beispiel auch das Gefühl, wenn man spätabends ankommt und noch nicht weiss, wie die Landschaft aussieht. Natürlich aber alles im Kontext dieser Vater-Tochter-Geschichte.
Die schottische Regisseurin Charlotte Wells (35) kam in Edinburgh zur Welt und interessierte sich schon als Kind für Film, was sich thematisch auch in ihrem Werk widerspiegelt. Nach Jobs im Finanzsektor studierte sie in New York Film und Business Management. Während dieser Zeit entstanden bereits einige Kurzfilme. «Aftersun» ist ihr erster Spielfilm, für den sie bereits zahlreiche Preise erhalten hat. Wells lebt und arbeitet in New York.
Die schottische Regisseurin Charlotte Wells (35) kam in Edinburgh zur Welt und interessierte sich schon als Kind für Film, was sich thematisch auch in ihrem Werk widerspiegelt. Nach Jobs im Finanzsektor studierte sie in New York Film und Business Management. Während dieser Zeit entstanden bereits einige Kurzfilme. «Aftersun» ist ihr erster Spielfilm, für den sie bereits zahlreiche Preise erhalten hat. Wells lebt und arbeitet in New York.
Die ja, zumindest teilweise, Ihre eigene ist. Es muss schwer gewesen sein, die Story mit all ihren Umständen filmisch zu erzählen.
Ich finde, es ist schwieriger, darüber zu sprechen. Für mich macht es keinen grossen Unterschied, ob autobiografisch oder nicht. Egal, welchen Film ich drehe: Es kommt immer ein grosser persönlicher Teil darin vor. Es gab aber schon Momente – erwartet und unerwartet –, in denen mich die Erinnerungen einholten.
Erinnerungen, die Sie der jungen Frankie Corio vermitteln mussten, die im Film Sophie spielt. Wie haben Sie sie auf die Rolle vorbereitet?
Das ist eine gute Frage. Es ist immer ein spezielles Unterfangen bei so jungen Schauspielerinnen ohne Erfahrung. Ein Drehbuch haben wir ihr nie gegeben. Das Wichtigste war sowieso, die Beziehung zu ihrem Filmvater Paul aufzubauen.
Die Vertrautheit zwischen den beiden ist tatsächlich verblüffend.
... was auch daran liegt, dass Frankie und Paul schon vor Drehstart zwei Wochen hatten, um sich kennenzulernen. Insgesamt haben sie mehrere Monate zusammen verbracht – am Pool, am Strand und beim Glace-Essen. So kam es, dass Frankie bei den Dreharbeiten in Pauls Schoss einschlief, weil sie müde war – und sich so ganz natürlich eine Szene ergab, die im Drehbuch stand.
Wenn die beiden so viel Zeit zusammen verbracht und eine Beziehung zueinander aufgebaut haben: Durften sie ihre Rolle dann auch selbst interpretieren?
Frankie hat sehr viel mitgebracht, von dem ich noch gar nichts gewusst hatte. Sie mag es nicht, zu lange in traurigen Situationen zu verweilen. Und ich glaube, das ist es genau, was für einige der schönsten Momente im Film verantwortlich ist.
Einer dieser Momente ist sicher, als Paul seine Tochter bittet, endlich die Handkamera, mit der sie Ferienerinnerungen festhält, auszuschalten – worauf sie antwortet: «Keine Sorge, ich nehme es nur mit meiner Gedanken-Kamera auf.»
Lustig, dass sie das ansprechen. Das war genau einer dieser «Frankie-Momente». Er ist während der Proben entstanden. Wir haben mit der Handkamera experimentiert, und plötzlich war die Batterie leer. Da sagte sie ganz spontan einfach diesen Satz – ich war baff und habe ihn mir sofort notiert.
Was ist noch in Ihrer persönlichen «Gedanken-Kamera» gespeichert?
Gedanken, Erinnerungen, Gefühle – komplizierte Gefühle. Gefühle, mit denen ich noch nicht abschliessen konnte und für die ich ein Ventil suche. Wie das aussieht, weiss ich nicht. Klar ist aber: Es würde mir nie einfallen, einen Film zu drehen, zu dem ich keine ganz starke, persönliche Bindung habe.
Ihre Schaffensart wird international honoriert. Bei den letztjährigen British Independent Film Awards haben Sie abgeräumt. Und im März warten die Oscars. Paul Mescal ist als bester Hauptdarsteller nominiert.
Ich habe nicht damit gerechnet, so weit zu kommen. Ich bin bloss enorm stolz, dass alle in unserem Team und all ihre Arbeit so wahrgenommen werden. Aber Erwartungen? Die habe ich nicht.
«Aftersun» läuft ab 23. Februar in den Deutschschweizer Kinos.
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