Pro und Kontra zu Taylor Swift
«Ich bewundere Taylor Swift» – «Die Frau ist doch todlangweilig»

Taylor Swift ist der global einflussreichste Popstar unserer Zeit. «Völlig zu Recht», schreibt People-Redaktorin Patricia Broder. «Komplett unverständlich», findet das hingegen Gesellschafts-Redaktorin Silvia Tschui.
Publiziert: 07.07.2024 um 15:59 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2024 um 15:30 Uhr
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Viele ihrer Fans vergöttern Taylor Swift geradezu. Wie blicken Nicht-Fans auf den globalen Superstar?
Foto: Getty Images for TAS Rights Management

Patricia Broder: Swift ist ein Diamant, der alle überstrahlt

Ich bin kein Swiftie, aber ich bewundere Taylor Swift. Für ihre Musik und ihre Karriere. Ich verstehe, warum sie der grösste Popstar unserer Zeit ist. Ein Status, der der US-Sängerin neben viel Beifall genauso viel Kritik, geradezu offenen Hass einbringt. «Total überbewertet», «belanglos», «bloss gutes Marketing», ätzen Kritiker auf Social Media oder in den Medien. Dass Swift neben ihrer ausgewiesenen Leistung ebenso starke Abneigung erfährt, hat mit ihrem enormen Erfolg zu tun und mit einem misogynen Wind, der einer Sängerin unter diesen Umständen noch immer entgegenweht. Doch dazu später mehr. 

Schon zu Beginn ihrer Karriere sorgt Taylor Swift für Aufsehen: Entdeckt als 14-Jährige in einem Café in Nashville, wird sie 2006 im Alter von 17 Jahren mit ihrem Debütalbum als «beste neue Künstlerin» für einen Grammy nominiert – ein Rekord. In den darauf folgenden 20 Jahren veröffentlicht die Sängerin ein Hitalbum nach dem anderen. Dabei versteckt sie sich hinter keiner Kostümierung, schafft kein Alter Ego.

Swift ist einfach Swift, und ihre Fans lieben sie dafür. Anders als Lady Gaga oder Beyoncé macht sie nie auf Diva, sie ist das nette Mädchen von nebenan. Das macht sie mehrheits- und anschlussfähig und für ihre Gefolgschaft besonders nahbar. Zudem weiss sie von Beginn an Social Media für den Austausch mit ihren Fans zu nutzen und schafft damit eine Bewegung: die Swifties.

Bis heute verkauft die Sängerin über 200 Millionen Platten und gewinnt Hunderte von Auszeichnungen: darunter 12 Grammy Awards und 40 American Music Awards – mehr als je ein Künstler zuvor. Dabei ist Swift – und das sei deutlich gesagt – weder ein Produkt einer Castingschmiede noch Ex-Mitglied einer Girl-Band.

Die Sängerin schreibt ihre Songs von Beginn an selbst. Und das so gut, dass über Swifts Songwriter-Fähigkeiten an Universitäten in der ganzen Welt gelehrt wird – selbst an der Elite-Uni Harvard.

Doch Kritiker, darunter auch Medien, zeichnen Swift jahrelang lieber als männerverschleissende Neurotikerin, die hauptsächlich Songs über Verflossene schreibt – ein Vorwurf, den man männlichen Stars wie Justin Bieber, Ed Sheeran oder Harry Styles nie macht. Dabei handeln über 70 Prozent der erfolgreichsten US-Songs von Liebe oder Herzschmerz, wie eine Studie von 2021 zeigt. Von Beziehungen und deren Enden zu singen, scheint also keine Ausnahme, sondern die Regel.

Was Taylor Swifts Fähigkeiten als Songwriterin anbelangt, steht sie in einer Reihe mit ihren Vorbildern Joni Mitchell oder Stevie Nicks. Dies attestierte ihr kürzlich auch Harvard-Professorin Stephanie L. Burt in der «New York Times». Swifts poetisch raffinierte Texte schaffen aber noch etwas anderes: Sie bieten eine perfekte Projektionsfläche. Sie sind biografisch und enthalten dennoch Lücken, die gefüllt werden können. Dadurch finden sich Swifties in den Songs selber wieder, und der Kreis zum Idol schliesst sich.

Dieser Text soll mehr als eine Lobeshymne auf Taylor Swift sein. Eine faire Auslegung eines künstlerischen wie unternehmerischen Talents. Swift ist eine weibliche Erfolgsgeschichte voller Resilienz und Selbstermächtigung. Nach jeder Kritik, nach jeder sexistischen Attacke stand sie wieder auf und machte weiter.

Als Swift 2019 den ersten Billboard Woman of the Decade Award erhält, spricht sie den Sexismus, den sie und ihre Kolleginnen erfahren, offen an. «Der Druck, der uns hätte erdrücken können, hat uns stattdessen zu Diamanten gemacht», sagt sie. Und wie: Der Swift-Diamant strahlt aktuell stärker als alle anderen.

Silvia Tschui: Öde wie Magerjoghurt!

Nichts gegen Taylor Swift als Person. Sie scheint nett zu sein, behandelt ihre Angestellten gut und hilft kranken Kindern, spendet auf ihrer Tournee massig Lebensmittelhilfe für Arme und rettet wahrscheinlich in ihrer Freizeit auch misshandelte Welpen oder Ähnliches. Und sie ist wunderschön. Ich mag ihr auch den Erfolg und ihr Milliardenvermögen gönnen, besser eine nette, hilfsbereite Frau verfügt über so viel monetäre Macht als all die selbstbezogenen Megalomanen wie Kanye West, Donald Trump, Putin oder Elon Musk.

Aber dass Taylor Swift der global einflussreichste Popstar überhaupt ist, das verstehe ich nicht. Denn die Frau ist doch, Verzeihung, todlangweilig. Öde wie Magerjoghurt. Mit Songs, so interessant wie Haferschleimsuppe. Nie sagt sie etwas Kontroverses, und ihre Stimme ist so weit entfernt von der einer Amy Winehouse oder, für Mainstreamliebhaber, einer Céline Dion oder Mariah Carey wie New York von Hinterpfüpflingen.

Und diese Songs! Ja, sie schreibt und komponiert sie selber. Big Deal – Kostprobe der Lyrics gefällig? «Du hast geraucht und dann sieben Tafeln Schokolade gegessen / Wir erklärten, Charlie Puth sollte ein grösserer Künstler sein / Ich kratze deinen Kopf, du schläfst ein / Wie ein tätowierter Golden Retriever.» Ich lasse das hier einfach mal so einsinken, dem ist nun wirklich nichts hinzuzufügen. Moment, doch: dass die Kompositionen musikalisch genauso maximal flach wie die Texte sind – und ihr banales Stimmchen erst!

Was ist nur mit der Musik passiert, fragt man sich angesichts Swifts globalem Erfolg, wo ist bloss ihre revolutionäre Sprengkraft geblieben? Wir – Generation X – hatten etwa Sinéad O'Connor, die legte sich mit der katholischen Kirche an. Oder Madonna, die konnte zwar auch nicht wirklich singen, tat aber so einiges für die Schwulenbewegung, setzte sich für Aids-Kranke ein und rückte selbstbestimmte weibliche Sexualität ins Rampenlicht.

Wo sind die heutigen Rock- oder Alternative-Stars, die musikalisch, gesellschaftskritisch oder politisch etwas zu sagen haben, Janis Joplin, Joan Jett, Karen O, Sinéad O'Connor, Siouxsie Sioux? Wo die Riot Grrrls, Kathleen Hanna, Kim Gordon, Courtney Love, Elastica, die sich auf der Bühne ihre Wut über Vergewaltigungen, Bevormundungen von Frauen, die generelle Ungerechtigkeit der Welt aus dem Leib schrien und die Musikindustrie für alle danach kommenden Frauen veränderten? Wo sind Salt 'n' Pepa oder Missy Elliott, die für Frauen das Hip-Hop-Genre urbar machten?

Stattdessen dreht sich bei Taylor Swift alles, aber auch alles – nein, nicht um sich selbst, sondern, noch schlimmer – um Taylor Swifts (Ex-)Männer. Über welchen Mann sie wohl ihren neusten Break-up-Song geschrieben hat? Wer nun trotz Beziehungsende ihren roten Schal behalten hat, wer was gesagt hat und warum die x-te Beziehung nach drei Wochen dann doch nicht funktioniert hat, darüber zerbrechen sich dank genialem Marketing ihre unzähligen Fans den Kopf.

Und so scheint mir Taylor Swift als Rollenmodell für junge Mädchen und Frauen nicht nur todlangweilig, sondern geradezu deprimierend und fast schon gefährlich. Das Phänomen Taylor Swift ist schlicht eine Frau, die sich öffentlichkeitswirksam fast ausschliesslich nur über Männer definiert. Und das ist zutiefst reaktionär.

Die Milliarde, die sie aus den diversen Herzbrüchen generiert hat, soll ihr von Herzen gegönnt sein. Dass aber aus allen aktuellen, viel kantigeren Popstars wie Miley Cyrus, Lady Gaga, Beyoncé oder Billie Eilish ausgerechnet die Frau zum globalen Über-Superstar avanciert ist, deren Songs stets von Männern – und ausnahmsweise vielleicht einmal von einem belanglosen Streit mit Kim Kardashian – handeln, das sagt Himmeltrauriges über die westliche Gesellschaft aus.

Frauen sind anscheinend immer noch mit einem uralten Stereotyp erfolgreich: weiss, blond, heterosexuell, harmlos und hauptsächlich mit ihrer Wirkung auf Männer beschäftigt. Ach.

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