Martin Gore von Depeche Mode im Blick-Interview
«Gib dich nicht mit Kleinkram ab!»

Gitarrist Martin Gore gilt als Mastermind hinter den düster-eingängigen Hymnen der Synth-Pop-Band Depeche Mode. Im Interview mit Blick spricht der Brite offen über schwere Zeiten – und verrät, wieso seine Songs besser als andere sind.
Publiziert: 10.03.2023 um 00:38 Uhr
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Für viele Fans macht Depeche-Mode-Gitarrist Martin Gore mehr als 50 Prozent des britischen Synth-Rock-Duos aus.
Foto: Juliane Haerendel
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Laszlo SchneiderTeamlead People-Desk

Wenn Depeche Mode auftreten, richten sich die Augen der Fans mehrheitlich auf Frontmann Dave Gahan (60). Der stets adrett gekleidete Sänger fegt mit seinem Hüftschwung über die Bühne wie Elvis Presley (1935–1977) zu seinen besten Zeiten. Band-Kollege Martin Gore (61) geht mit seiner Gitarre auf der Bühne fast ein wenig unter. Allerdings behaupten nicht wenige Bewunderer der Band, Martin Gore mache mehr als 50 Prozent der Gruppe aus. Beinahe stoisch, aber mit gehörig viel Punk im Instrument (und den Haaren) lässt er Depeche Mode tun, wofür die Band seit nun 43 Jahren steht: das Publikum nach den Shows jeweils schweissgebadet in einem Trancezustand zu hinterlassen.

Am Abend vor dem Treffen mit Blick hatte er in München (D) ein intimes Konzert vor nur 400 Menschen gespielt. Der wummernde Bass der 1980er-Hymne «Personal Jesus» – Gore ist für sie verantwortlich – hallt aber gehörig nach. Zum Gespräch erscheint in einer edlen Münchner Hotelsuite ein Mann, der punkto Stil (perfekt gestutzter Irokese, schwarz-weisse Punk-Creepers) in den wilden 80ern verweilt. Seine Aussagen treffen aber den Nerv – und vor allem den Ton – der Zeit.

Blick: Ich habe einmal gelesen: «Wenn man beim Songwriting zu sehr nachdenken muss, ist man vermutlich nicht gut darin.» Sie gelten als einer der begabtesten Songschreiber unserer Zeit. Woher kommt Ihr Talent?
Martin Gore:
(Lacht) Ich glaube, die Art und Weise, wie ich Songs schreibe, ist sehr organisch. Ich schreibe nie die Musik um ein Gedicht herum, sondern umgekehrt. Ich setze mich ans Klavier, an die Gitarre oder den Computer und singe, was ich zu diesen Tönen fühle. Irgendwie entstehen die Worte für mich dann ganz natürlich. Auch wenn ich manchmal noch nicht weiss, was sie bedeuten.

Das ist beneidenswert.
Und wissen Sie, manchmal kämpft man auch mit einem Song. Manchmal macht es auch Sinn, diesen Kampf auszufechten. Aber es stimmt schon: Zu lange nachzudenken, ist selten förderlich.

Aber auf einen Ihrer Songs sind Sie sicher besonders stolz, oder?
Einen einzelnen herauszuheben, wäre vermessen. Ich sehe mich eher als Kommunikator. Stolz bin ich darauf, dass ich es über die Jahre geschafft habe, einen Dialog mit unserem Publikum aufrechtzuerhalten.

Musiklegende

Martin Gore (61) wuchs in London auf und ist eines der Gründungsmitglieder der britischen Synth-Pop-Band Depeche Mode. Er gründete die Band 1980 mit seinen Schulfreunden Vincent Clark (62) und Andy Fletcher (†60), kurz darauf entschied er sich für Dave Gahan (60) als Frontmann. Bei Depeche Mode spielt Gore Gitarre und Keyboard, er tritt teils auch als Leadsänger in Erscheinung.

Martin Gore
DUKAS

Martin Gore (61) wuchs in London auf und ist eines der Gründungsmitglieder der britischen Synth-Pop-Band Depeche Mode. Er gründete die Band 1980 mit seinen Schulfreunden Vincent Clark (62) und Andy Fletcher (†60), kurz darauf entschied er sich für Dave Gahan (60) als Frontmann. Bei Depeche Mode spielt Gore Gitarre und Keyboard, er tritt teils auch als Leadsänger in Erscheinung.

Das habe ich an Ihrem Konzert bemerkt. Hinter mir standen einige Fans, die deutlich unter 30 waren. Und neben mir eine Gruppe, die wohl schon von Anfang an dabei ist. Wie schaffen es Depeche Mode, die Generationen zu verbinden?
Das ist uns tatsächlich sehr bewusst. Besonders aufgefallen ist es uns bei unserer neuen Single «Ghosts Again». Als wir den Song vor einigen Wochen in Italien spielten, kam jemand zu mir und sagte, dass sein Teenager-Neffe zum Song abgehe – aber eben auch seine Grossmutter, die über 80 Jahre alt ist. Es liegt wohl daran, dass uns Fans kommerzieller wie auch alternativer Musik gut finden. Das ist eines der schönsten Komplimente, die man als Musiker bekommen kann.

Einige Ihrer Fans, mit denen ich sprechen konnte, platzen förmlich vor Vorfreude auf Ihr neues Album «Memento Mori» – lateinisch für: «Denke daran, dass du stirbst». Mit Verlaub, der Titel des Werks versprüht nicht gerade pure Lebensfreude. Wie sind Sie darauf gekommen?
Die Entstehungsgeschichte – und damit auch der Titel – ist sehr vielschichtig. Während der Pandemie war es praktisch unmöglich, Musik zu machen, ohne dabei an die schrecklichen Folgen von Covid zu denken. Deshalb beschäftigen sich viele Songs mit dem Tod. Ausserdem habe ich an meinem 60. Geburtstag eine Art Meilenstein erreicht. Das hat mir viel ausgemacht, weil mein Stiefvater mit 61 und mein biologischer Vater mit 68 gestorben waren. 60 zu werden, war für mich eine Art Weckruf. Ein Alarmsignal.

Und dann kam natürlich noch der Tod Ihres Bandkollegen Andy Fletcher.
Geholfen hat uns, ins Studio zu gehen und minuziös an unserem Plan festzuhalten, «Memento Mori» fertigzustellen. Mit den Aufnahmen haben wir schon sechs Wochen nach Andys Tod angefangen. Er hätte ja eigentlich bei allem dabei sein sollen. Auch darum war uns klar, dass wir uns auf die Musik konzentrieren – und sie als eine Art Therapie benutzen.

Trotz dieses Schicksalsschlags machen Sie und Dave Gahan auf der Bühne einen sehr gelösten und fröhlichen Eindruck. Als sie bei zwei Songs des neuen Albums von vorne anfangen mussten, lachten Sie die Missgeschicke gemeinsam mit dem Publikum aus dem Leben. Werden Sie da nicht trotzdem etwas wütend?
(Lacht) Nein, ich glaube, das Publikum mag es, wenn auch wir mal Fehler machen. Das Leben ist zu kurz. Und besonders seit Andy gestorben ist, habe ich ein neues Motto: «Gib dich nicht mit Kleinkram ab!»

Das neue Album «Memento Mori» erscheint am 24. März. Depeche Mode spielen am 11. Juni im Stadion Wankdorf in Bern – Tickets gibts bei Ticketcorner.


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