Hollywood flüchtet vor den Flammen
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Chaos auf den Strassen:Hollywood flüchtet vor den Flammen

Die Brände setzen auch der Filmbranche zu
Hollywood nach der grossen Zäsur

Nach Pandemie und Streik steht die Filmindustrie innerhalb kurzer Zeit wiederholt auf wackeligen Beinen – und das ausgerechnet wenige Wochen vor den Oscars. ZFF-Direktor Christian Jungen und Filmemacher Jean de Meuron sehen in der Durchführung des Preises eine Chance.
Publiziert: 18.01.2025 um 19:58 Uhr
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ZFF-Direktor Christian Jungen (l.) und Filmemacher Jean de Meuron (hier bei den Golden Globes) kennen die Filmbranche in Hollywood gut.
Foto: zVg

Auf einen Blick

  • Oscar-Verleihung trotz Bränden in L.A. Jungen erwartet Solidaritäts-Show
  • Hollywood übt Zurückhaltung, Promo-Touren und Networking-Partys wurden abgesagt
  • 39-jähriger Basler Filmemacher Jean de Meuron auf Oscar-Shortlist für besten Kurzfilm
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Das Büro von Zurich-Film-Festival-Direktor Christian Jungen (51) kennt genau genommen zwei Themen: den Grasshopper Club Zürich und Rocky Balboa. Die filmische Box-Legende, erstmals 1976 von Sylvester Stallone (heute 76) verkörpert, beobachtet Jungens Tagewerk von einem Regal schräg über seinem Pult – und hat für den Festivalleiter Symbolcharakter, was die Durchführung der Academy-Awards angeht, die nach den Bränden in L.A. alles andere als gesichert gelten.

«Was zeichnet Rocky aus?», fragt Jungen. «Er liegt am Boden, er steht auf und kämpft sich zurück. Und das ist Hollywood. Darum, glaube ich, wäre es unamerikanisch, wenn die Oscars abgesagt werden.» Man könne eine «Live-Kiste in der Grössenordnung der Beisetzung von Lady Di erwarten», prophezeit Jungen, der in Hollywood bestens vernetzt ist. «Das gibt die besten Einschaltquoten seit Jahren». 

Hollywood übt sich in Zurückhaltung

Fakt ist aber auch: Zuletzt wurden prominente Stimmen laut, die eine Aussetzung der diesjährigen Preisverleihung fordern. Horror-Autor Stephen King (77) äusserte sich dazu am vergangenen Mittwoch dezidiert auf Bluesky: «Ich werde dieses Jahr nicht bei den Oscars abstimmen. Meiner Meinung nach sollten sie abgesagt werden. Kein Glanz, solange Los Angeles noch brennt.» Jungen teilt Kings Meinung nicht – im Gegenteil: «Es wird keine Goldmedaillen, sondern eine Solidaritätsshow werden, die eine Art kathartischen Schlusspunkt und Neuanfang nach dem kollektiven Schock markiert, eine Spendengala, die ein riesiges Echo mit sich ziehen wird.» 

Damit trifft Rocky-Fan Jungen einen Punkt: Das gesammelte Geld würde nicht nur den Gutbetuchten in Malibu und Pacific Palisades zugutekommen – vor allem Normalsterbliche (beispielsweise im Vorort Altadena) sind auf unmittelbare finanzielle Unterstützung angewiesen. Ganz zu schweigen von den unzähligen Helferinnen und Helfern der Award-Show, die schon wegen der letztjährigen Streiks und davor der Pandemie teilweise gänzlich auf ihr Gehalt verzichten mussten. Die Durchführung der Oscars hätte also nicht nur Symbolcharakter – Jungen verweist hier auf das Aufrechterhalten des «American Dream» – sondern auch einen karitativen Nutzen. Was aber auffällt: Hollywood übt sich gerade in Zurückhaltung – vor allem, was das Brimborium vor der eigentlichen Verleihung angeht. Promo-Touren und Networking-Partys wurden alle fast gänzlich abgesagt.

«Das Leben in L.A. ist zu anstrengend»

Davon, dass es momentan der falsche Zeitpunkt ist, für seinen eigenen Film zu weibeln, kann Filmemacher Jean de Meuron (39) ein Lied singen. Der Basler steht mit «Edge of Space» auf der Oscar-Shortlist und hat kommende Woche die Chance, in der Sparte «Bester Kurzfilm» nominiert zu werden. «Ich kam am Sonntag in L.A. an – am Dienstag begann das Feuer», erinnert sich de Meuron. «Wir haben unsere Kampagne weitestgehend eingestellt.» Jetzt gehe es um Empathie und Fingerspitzengefühl, «alles andere wäre taktlos». Der Regisseur ist sich sicher, «dass die meisten bereits jetzt schon entschieden haben, welche Filme sie final ins Rennen schicken.» Heisst: Viel zu holen gäbe es trotz sogenanntem «Campaigning» sowieso nicht mehr. 

Sowohl für Jungen als auch für de Meuron sind die Brände in L.A. eine Zäsur. Nach der Award-Show – «dem Ende der Trauerphase», wie der ZFF-Direktor sie nennt – gehe es für die meisten Menschen aus der Branche erst einmal darum, ihr Leben neu zu organisieren. Jungen stellt fest: «Viele Leute haben die Schnauze voll und ziehen in andere Bundesstaaten. Das Leben in L.A. ist ihnen zu anstrengend.»

«Richtig Business machen kannst du jetzt nicht»

Meetings fänden ohnehin schon meistens per Zoom statt – «und hier gedreht wird nur noch selten». Vor allem mässig gut bezahlten Crew-Mitgliedern sei das Leben in der kalifornischen Metropole zu teuer und unsicher geworden, die Brände sind jetzt das Tüpfchen auf dem i. Wird Hollywood als Epizentrum des Films also an Bedeutung verlieren? Nein, ist sich Jungen sicher. Denn obwohl die Dezentralisierung in vollem Gange sei, hätten die meisten der wichtigen Entscheidungsträger ihre Büros aus London oder New York nach Los Angeles zurückverlegt. Neue Player wie Netflix, Amazon und Apple haben ihre Basis alle in LA.

Mit genau dieser Teppichetage haben sowohl Jungen als auch de Meuron, der beim ZFF nebst seiner Tätigkeit als Regisseur und Produzent auch ein Mandat innehat, regelmässig zu tun. Wenn es darum geht, mögliche Oscar-Filme samt Schauspiel-Stars im Herbst nach Zürich zu holen, laufen die Drähte zwischen Kalifornien und dem Sechseläutenplatz für gewöhnlich schon im Winter heiss. Nicht so dieses Jahr: «Ganz ehrlich: Momentan schreibe ich keine E-Mails, in denen ich als Bittsteller auftrete», erklärt Jungen. «Richtig Business machen kannst du jetzt nicht, das wäre deplatziert.»

Kommt jetzt das ZFF in die Kränze?

Sorgen um sein eigenes Festival macht sich der ZFF-Direktor nicht: «Am Schluss wird es uns in die Karten spielen. Ich glaube, die Herbstsaison wird gegenüber den Festivals in den ersten beiden Quartalen aufgewertet, weil vieles nach hinten geschoben wird. Für die Schauspielerinnen und Schauspieler ist es schmerzhaft, wenn ihre Premieren abgesagt werden.» Das Marketingbudget vieler Produktionen sei noch nicht ausgeschöpft – und das Zurich Film Festival könnte kräftig davon profitieren: «Weil die Lust dann wieder da ist, über einen roten Teppich zu laufen.»

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