Blick-Redaktor erinnert sich an Begegnung mit verstorbenem Schriftsteller Martin Walser
«Wer ist der Tod? Kennen Sie den persönlich?»

Schon vor etwas mehr als zehn Jahren sprach der deutsche Schrifsteller Martin Walser über den Tod. Persönliche Erinnerungen an einen Grossen der deutschen Literatur, der immer wieder für Aufruhr sorgte.
Publiziert: 28.07.2023 um 22:23 Uhr
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Aktualisiert: 29.07.2023 um 13:15 Uhr
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Der deutsche Schriftsteller Martin Walser ist tot.
Foto: Philippe Rossier
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es ist ein grauer kalter Wintertag Ende Februar 2012: Der grosse Dichter vom Bodensee, Martin Walser, hat zum Interview geladen. Zusammen mit einem Redaktionskollegen von der «SonntagsZeitung» und einer Fotografin fahre ich mit dem Zug über Singen (D) nach Überlingen.

Am See dann das Haus. Sollen wir läuten? Es ist für alle ein grosser Moment, denn Walser gibt wenige Interviews. Seine Tochter Johanna Walser (66) öffnet die Tür und empfängt uns freundlich. Sie führt uns in den Dachstock des Hauses, wo das Gespräch stattfinden soll. Teegeschirr aus Porzellan und Gebäck sind schon auf den Tischchen.

Ein kurzer Schreckmoment: Habe ich auf meinem Aufnahmegerät genügend Platz für die Aufnahme? Hektisch lösche ich noch ein paar alte Dateien. Und dann tritt er ein: ein stattlicher Mann, weisse Haare, dicke Augenbrauen – und ein freundliches Lächeln. Es scheint, als begegne er den Journalisten mit ironischer Distanz.

Was er an seinem bevorstehenden 85. Geburtstag mache, wollen wir als Erstes wissen: «Am Vormittag beantworte ich E-Mails.» Das kann ja lustig werden! Doch der Autor von Bestsellerromanen wie «Ein fliehendes Pferd» (1978) oder «Die Verteidigung der Kindheit» (1991) kommt langsam in Fahrt.

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Martin Walser war ein Mann, der die Konfrontation nie scheute.
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Der Anlass unseres Besuchs ist sein damals erschienenes essayistische Büchlein «Über Rechtfertigung» – kein grosser Wurf, der Wellen verursacht. Ganz anders zehn Jahre zuvor der Roman «Tod eines Kritikers» (2002), worin er den Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) auf dem Papier erledigt – ein Riesenaufruhr!

Er sorgte immer wieder für Aufruhr

Ob er das Buch wieder schreiben würde: «Selbstverständlich», sagt er. Kein Mensch habe Reich-Ranicki je so gross gemacht, wie er in diesem Buch. Martin Walser war ein Mann, der die Konfrontation nie scheute: In den 1960er-Jahren wandte er sich gegen den Vietnamkrieg, 1998 äusserte er sich in einer Rede gegen die Instrumentalisierung des Holocaust. Das brachte ihm den Vorwurf des Antisemitismus ein.

Johanna Walser tritt ein, schenkt Tee nach. Sie ist eine von drei der vier Walser-Töchter, die selber Schriftstellerinnen sind. Förderung vom Papa? «Nein, ich bin ein Unerzieher ersten Ranges», sagt er lakonisch. Und dann ist da noch der uneheliche Sohn Jakob Augstein (56), ebenfalls Schriftsteller und Publizist.

Mit ihm führte ich letztes Jahr ein Interview zu seinem ersten Roman «Strömung». Er sagte mir schon damals, dass es dem Vater nicht gut gehe. Ob er Angst habe vor dem Tod, fragen wir 2012 Walser: «Wer ist das? Kennen Sie den persönlich?», sagt er mit einem Lächeln.

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