Seit Montag herrscht wieder ein Stück Normalität in der Schweiz. Museen und Restaurants sind offen. Hotels und Hütten empfangen Gäste. Nur auf den Schweizer Campingplätzen herrscht weiter Ruhe. Die Lockerung vom Lockdown ist bei den Betreibern nicht angekommen. Immer noch ist unklar, wann die Nacht im Zelt oder im Wohnwagen wieder erlaubt ist. Der Bundesrat hat dazu noch keine Stellung bezogen.
Susan Knecht (61) und Georges Zehntner (66) sind deswegen sauer. «Dabei leben unsere Gäste in ihren Motorhomes oder Wohnwagen wie in Quarantäne, mit genügend Abstand, aber wenigstens in der Natur», sagen die beiden Campingbetreiber. Die Sanitäranlagen seien so konzipiert, dass die zwei Meter Abstand gewährleistet seien. «Was braucht es denn noch?», fragen Knecht und Zehntner, als sie BLICK ihre Ferienoase zeigen.
120 Plätze für Feriengäste unbesetzt
Seit 2006 betreibt das Paar den Campingplatz Alpenblick in Interlaken BE. Direkt nebenan fliesst der Lombach, und der Thunersee lädt zum Bade. Die Vögel zwitschern. Hündeler und Spaziergänger laufen vorbei. Das Campingbistro ist geschlossen, ein Teil des Personals auf Kurzarbeit. Nur der Gärtner und ein Teil des Putzpersonals arbeiten noch. Sie halten die Hecken und die Toiletten für die knapp 100 Dauermieter instand. Die 120 Plätze für die Touristen aber sind leer. Und das bleibt vorerst auch so.
Knecht und Zehntner können es nicht verstehen, warum Hotels und andere Betriebe öffnen dürfen, die Campingplätze aber nur für Dauergäste offen sind. «Wir haben täglich Anrufe», sagt Zehntner. «Die Gäste wollen buchen. Aber wir wissen nicht, wann wir öffnen dürfen. Und unter welchen Bedingungen.»
Schutzkonzept liegt seit Ostern vor
Dabei hat der Campingverband schon zu Ostern den Behörden ein Konzept vorgelegt, wie Marcel Zysset (53), Vizepräsident des Branchenverbands Swisscamps, auf Anfrage bestätigt.
Zysset betreibt selbst einen Zeltplatz am Brienzersee im Berner Oberland, nur knappe 20 Autominuten von Knecht und Zehntner entfernt. Das Konzept wurde aber wochenlang nirgends ernsthaft geprüft. Die Campingplätze gingen im Bundeshaus schlicht vergessen, wie ein internes Dokument aus dem Wirtschaftsministerium zeigt. Noch Ende April hiess es aus dem Departement von Guy Parmelin (SVP, 60): «Die Frage der Wiedereröffnung der Campingplätze ist im Moment nirgends erfasst.»
Departemente schieben hin und her
Trotzdem gab es Hoffnung. Die Betriebe «könnten aus unserer Sicht problemlos spätestens am 11. Mai geöffnet werden», hiess es damals aus dem Wirtschaftsdepartement. Gleichzeitig kam der Vorbehalt. «Das EDI wird entscheiden», liess das Wirtschaftsdepartement verlauten. Gemeint ist das Eidgenössische Departement des Innern, das Reich von Bundesrat Alain Berset (SP, 48). Und Berset ist bekanntlich kein Freund vorschneller Öffnungen.
Das alles sorgt nur noch für ungläubiges Kopfschütteln bei den Betroffenen. Susan Knecht sitzt vor dem Blockhaus, das sie zusammen mit ihrem Partner neu gebaut hat. Die beiden haben den Campingplatz als Quereinsteiger übernommen. Er: Informatiker. Sie: Erfahrung in der Gastronomie und im Reinigungsbereich. Vereint in Erinnerungen an Camping-Erlebnisse aus der Jugend.
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Frische Luft, Gemeinschaftsgefühl, Zwangslosigkeit
Knecht verbrachte damals jeweils drei Wochen mit ihren Eltern und den zwei Geschwistern auf einem Zeltplatz in Spanien. Die Autofahrt im VW-Käfer war ein Erlebnis. «Es gab noch keine Autobahn», erinnert sie sich. «Wenn wir ein Schweizer Nummernschild entdeckt haben, hielten wir an, haben uns begrüsst und wieder verabschiedet.» Undenkbar sei das heutzutage. Unverändert aber seien die Emotionen beim Campieren. Frische Luft, ein Gemeinschaftsgefühl, eine gewisse Zwangslosigkeit: Das schätzt Knecht am Zeltplatz.
Sie wünscht sich, dass die Behörden in Bern endlich Klarheit schaffen. Dass die Bundesverwaltung die Campingplätze mit anderen touristischen Betrieben gleichstellt. «Jugendherbergen und Berghäuser mit Massenlager dürfen öffnen, 50 oder mehr Parlamentarier können sich zu später Stunde an einem Buffet vergnügen, und uns als Camping schleudert man einen Knebel zwischen die Beine! Wo ist da die Gerechtigkeit?», fragt sie sich.
Sind Sanitäranlagen das Problem?
Die Begründung aus Bern: Man wolle keinen übermässigen Reiseverkehr fördern. Auf Campingplätzen komme es zu grösseren Ansammlungen von Menschen. Ein Problem sei zudem die gemeinsame Nutzung von Sanitäranlagen.
Wieder schütteln die Betroffenen nur den Kopf. Knecht zeigt, wie die Sanitäranlagen problemlos genutzt werden können. Jedes zweite Lavabo und Pissoir ist abgesperrt. Und Zysset ergänzt, dass es jetzt zu einer absurden Situation kommt. Einige Campingplätze haben ein Massenlager. Das darf öffnen. Gäste im Wohnwagen aber sind nicht erlaubt. Zysset sagt: «Das ist doch Unsinn.»