Die Schweiz hat zu viele Krankenhäuser. Deshalb müssen viele Kantone über die Bücher, ihre Spitallandschaft radikal umbauen. Zwölf kleinere Kliniken in der Agglomeration und auf dem Land sind in ihrem Überleben akut gefährdet, wie BLICK berichtete. Das Sparpotenzial ist gross, der Widerstand in den betroffenen Regionen meist auch. Annamaria Müller (54), die Verwaltungsratspräsidentin des Kantonsspitals Freiburg, hat Erfahrung mit der Schliessung von Spitälern. Nun muss sie die Spitalstrategie des Kantons Freiburg umsetzen.
BLICK: Im Kanton Freiburg soll ein grosses Zentralspital entstehen, vier kleinere Standorte werden geschlossen. Wie kommt das bei den Leuten an?
Annamaria Müller: Erstaunlich gut, denn der Kanton Freiburg macht einen grossen Schritt in die richtige Richtung. Es geht mehr um Fragen auf der persönlichen Ebene: Warum gerade unser Spital? Wie sieht mein Arbeitsweg künftig aus? Die Menschen haben aber keine Angst, künftig medizinisch schlechter versorgt zu sein.
Woran liegt das?
Im Vergleich etwa zu Bern hat Freiburg eine günstige geografische Struktur. Es gibt kein grosses Stadt-Land-Gefälle. Aber mit der Schliessung von Spitälern alleine ist es nicht getan.
Was braucht es noch?
In den nächsten zehn Jahren entsteht hier ein Gesundheitsnetz. Jeder Bürger weiss, dass seine erste Anlaufstelle eines der neuen Gesundheitszentren sein wird. Es ist richtig, Akutspitäler zu schliessen, aber man darf die Leute damit nicht alleine lassen. Man muss aufzeigen, dass die Alternativen die Grundversorgung genauso gut abdecken.
Wieso müssen Akutspitäler schliessen?
Der Aufenthalt im Spital wird immer kürzer, oft können Patienten nach einer Operation am nächsten Tag schon wieder nach Hause. Es fehlen vor allem Einrichtungen für die sogenannte Nachsorge. Es gibt zu wenige Pflegeplätze für Menschen, die aus medizinischen Gründen gar nicht mehr im Spital bleiben müssten, aber doch noch Betreuung oder Pflege brauchen. Im Freiburg liegen viele Patienten nur deshalb in Spitalbetten, weil sie auf einen Platz für die Nachsorge-Pflege warten. Das ist teuer und sinnlos.
Wie viel Geld spart der Kanton Freiburg durch die Spitalschliessungen?
Das lässt sich nicht genau beziffern. Im Moment schreiben die Spitäler in Freiburg tiefrote Zahlen. Das muss sich mit der neuen Struktur ändern.
Sie waren bis vor kurzem Spitalamtschefin des Kantons Bern, haben geholfen, Spitäler zu schliessen. Man hat sie sogar als «Spitalmörderin» bezeichnet.
Die Leute beschuldigten mich der schleichenden Ausrottung der Landbevölkerung, wünschten mich nach China zurück, wo ich eine Zeitlang gearbeitet habe. Während meiner Amtszeit wurden drei Standorte geschlossen, unter anderem das Ziegler-Spital in der Stadt Bern, das heute ein Asylzentrum des Bundes ist.
Warum war der Unmut in Bern grösser als in Freiburg?
In Bern wurden zwischen 1999 und 2006 bereits rund ein Dutzend Standorte geschlossen. Dazu kamen die Schliessungen während meiner Amtszeit sowie Reduktionen im Angebot der bestehenden Spitäler. Jeder Abbau war zunächst ein Schock für die Bevölkerung. Doch die Patienten haben sich auf die anderen Spitäler aufgeteilt, und rund ein Zehntel der Patienten ist ganz verschwunden.
Verschwunden?
Ja! Es gab weniger unnötige Spitalaufenthalte, weil niemand leere Betten füllen musste.
In den letzten 20 Jahren sind in der Schweiz bereits an die 100 Spitäler geschlossen worden. Warum gibt es immer noch zu viele Spitäler?
Einerseits weil sich die Medizin weiter entwickelt hat, aber auch weil ab 2012 eine richtige Goldgräberstimmung im Spitalsektor ausgebrochen ist. Alle haben nochmals so richtig in Beton investiert und neue Spitalbauten hingeklotzt. Deshalb ist der Markt heute mehr als gesättigt.
Zehn Prozent aller Spitäler in der Schweiz sollen verschwinden. Reicht das, um die Überkapazitäten abzubauen?
Bei weitem nicht! In der Schweiz ist mindestens ein Drittel aller Spitäler überflüssig. Die Zahl der stationären Eingriffe ist immer noch viel zu hoch. Wenn ambulant vor stationär konsequent umgesetzt wird, dann werden wir in der Schweiz noch viele unausgelastete Spitalruinen sehen. Einem Spital mit zu tiefen Fallzahlen fehlt das Geld für nötige Investitionen.
Wie sieht die effiziente und kostengünstige Spitallandschaft von morgen aus?
Es braucht nur noch einige Zentren für hochkomplexe Fälle. An vielen Orten reichen Einrichtungen für ambulante Eingriffe und vor allem spezialisierte Pflegeinstitutionen. Davon gibt es heute zu wenig.
Die Menschen machen sich aber Sorgen, ob mit viel weniger Standorten die medizinische Grundversorgung noch gewährleistet ist.
Die Frage ist heute nicht, wo ist das nächste Spital? Sondern: Ist die Ambulanz in einer Viertelstunde bei mir? Ambulanzfahrzeuge sind Minikliniken, ausgerüstet für die Erstversorgung. Zudem denken die Menschen immer zuerst an den kritischen Notfall. Doch der Normalfall des Spitalaufenthalts ist ein geplanter Eingriff oder die Behandlung eines chronisch kranken Patienten. Dabei spielt der Anfahrtsweg eine deutlich geringere Rolle.
Seit Anfang Jahr ist Annamaria Müller (54) neu im Amt als Präsidentin des Freiburger Spitals (HFR). Zusammen mit dem Verwaltungsrat muss sie nun die Eckpfeiler der neuen strategischen Ausrichtung des Spitals erarbeiten. Zuvor war die Ökonomin Spitalamtschefin des Kantons Bern, arbeitete für die Ärztevereinigung FMH und leitete den Bereich Gesundheitsökonomie der Gesundheitsdirektorenkonferenz.
Seit Anfang Jahr ist Annamaria Müller (54) neu im Amt als Präsidentin des Freiburger Spitals (HFR). Zusammen mit dem Verwaltungsrat muss sie nun die Eckpfeiler der neuen strategischen Ausrichtung des Spitals erarbeiten. Zuvor war die Ökonomin Spitalamtschefin des Kantons Bern, arbeitete für die Ärztevereinigung FMH und leitete den Bereich Gesundheitsökonomie der Gesundheitsdirektorenkonferenz.