In der Schweiz suchte er ein gutbürgerliches Leben und eine sichere Umgebung für seine Kinder. 2016 erhielt er von der Stadt Genf das Bürgerrecht. Doch hat Alexander Pumpyansky (37) ein gröberes Problem: Er ist gebürtiger Russe, und nicht nur das – er ist der Sohn des milliardenschweren Stahlmagnaten Dmitry Pumpyansky (60).
Wie nahe der Vater Wladimir Putin (71) steht und wie sehr dieser von der Verbindung profitiert, ist umstritten. Nach Auffassung der EU stand Pumpyansky senior dem Kremlchef nahe genug, um ihn nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs auf die Sanktionsliste zu setzen – und den Junior gleich mit. Der Bund übernahm die Massnahmen. Ein Leben in seiner Schweizer Heimat schien dem Betroffenen dadurch nicht mehr möglich; so blockierten die Behörden unter anderem auch die 1200 Franken auf dem Konto seiner minderjährigen Kinder. Der Doppelbürger hat sich darum nach Dubai abgesetzt – und befindet sich in einem zehrenden juristischen Kleinkrieg.
Das Wirtschaftsdepartement wies sein Begehren ab
Ausstehend ist ein Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts in St. Gallen. Dort hat Pumpyansky am 22. Juni 2023 Beschwerde gegen die Sanktionierung in der Schweiz eingereicht. Zuvor hatte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das die Listung verantwortet, einen Löschungsantrag abgelehnt. Auch das Wirtschaftsdepartement (WBF) von Bundesrat Guy Parmelin (64) blieb stur.
Was die Sache brisant macht: Das Gericht der EU (EuG) gab Pumpyansky in einem Urteil vom 29. November 2023 recht und kippte die Sanktionierung durch Brüssel – für die Behauptung, dass der Vater dank seines Sohns die Sanktionen umgehen könnte, fehle jeder Beweis. Auf einen Weiterzug des Urteils an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verzichtete der Rat, sodass dieses rechtskräftig wurde. Er hob aber den Boykott nicht auf. Bereits im Mai 2023 hatte der Rat die Bestimmungen geändert, um die Sanktionen zu verlängern. Obwohl das punkto Gewaltenteilung heikel ist, zog die Schweiz mit.
EU-Gericht gibt nun auch Pumpyanskys Vater recht
Am 26. Juni 2024, am Mittwoch vorletzter Woche, hat die Geschichte eine weitere Wendung genommen: Der EuG erklärt nun auch die Sanktionen gegen Pumpyanskys Vater für nichtig. Begründung: Der Oligarch gilt mit dem Rücktritt von seinen Positionen und dem Verkauf seiner Firmen nur noch als Privatperson. Der Rat der EU habe keinen Beleg vorlegen können, dass Pumpyansky Senior der russischen Regierung eine bedeutende Einnahmequelle bietet.
Für die Eidgenossenschaft wird die Frage zum Lackmustest: Wie autonom ist das Land bei der Umsetzung von «autonom» nachvollzogenem europäischem Recht tatsächlich?
Seit Oktober lässt sich Alexander Pumpyansky in der Schweiz von einem bekannten Juristen vertreten: Carl Baudenbacher (76) ist ehemaliger Efta-Richter und trat in jüngster Vergangenheit vor allem als Gegner des institutionellen Rahmenabkommens mit Brüssel in Erscheinung.
Baudenbacher hat mit seiner Kanzlei ein Papier verfasst, in dem er in schärfstem Ton mit dem Rat der EU und den Schweizer Behörden abrechnet: «Der unglaubliche Fall der Familie Pumpyanskyi» lautet das fünfseitige Schreiben, das Blick vorliegt. Darin wirft er der Europäischen Union vor, Pumpyansky junior lediglich aufgrund seiner verwandtschaftlichen Verhältnisse auf die Liste gesetzt zu haben: «Besonders besorgniserregend ist die Praxis des Rates, Sanktionen mit der Haftung der Familie oder der Sippe zu begründen.»
«Erinnert an die dunkelsten Stunden der Geschichte»
Baudenbacher nennt diese Praxis eine «Art der Geiselnahme» von Ehepartnern und Kindern russischer Geschäftsleute. Er redet von einem «Kreuzzug» gegen vermeintliche Unterstützer des Ukraine-Kriegs und resümiert gnadenlos: «Die Sippenhaftung erinnert an die dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte.» Das Verhalten der EU mit ihrem «Katz-und-Maus-Spiel» gegenüber Pumpyansky sei «inakzeptabel».
Nicht besser kommt Bundesbern weg. In einer «Copy-paste-Operation» hätte die Schweiz die Sanktionen gegen Pumpyansky übernommen, auch nach dem Freispruch durch das EuG: So habe das Seco «keine unabhängige Analyse des Falles» durchgeführt, sondern «blindlings die neuen Sanktionsgründe des Rates (einschliesslich der darin enthaltenen Syntaxfehler!)» übernommen.
Seco verfolgt die Entwicklung «fortlaufend»
Beim Seco betont man auf Anfrage von Blick, dass der Entscheid des EU-Gerichts «in der Schweiz grundsätzlich keine Rechtswirkung entfaltet». Das Wirtschaftsdepartement verfolge die Entwicklungen in der EU «eng» und überprüfe die rechtlichen Implikationen «fortlaufend». Grundsätzlich gelte, so heisst es beim Seco weiter, dass eine Person in der Schweiz gemäss Embargogesetz ebenfalls von der Sanktionsliste gestrichen werden muss, wenn sie in der Europäischen Union von der Sanktionsliste gestrichen wird.
Baudenbacher folgert in seinem Schreiben: «Das Seco hat seine Pflicht ohne jegliche Rechtfertigung verletzt.» Von umso grosser Tragweite dürfte hingegen der anstehende Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts sein. Dessen Urteil, so der Ex-Richter, werde «zweifellos» einen Einfluss auf die Rechtslage in der gesamten EU haben.