«Die Maske wird zum politischen Statement»
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Wut über Corona-Massnahmen:«Die Maske wird zum politischen Statement»

Psychologin Yvik Adler (55) zur Wut über scharfe Corona-Massnahmen
«Die Maske wird zum politischen Statement»

Auf Corona-Massnahmen folgen heftige Proteste. Die Schweiz teilt sich in ein Pro- und Kontra-Lager. Yvik Adler (55), die Co-Präsidentin des Psychologenverbands, fordert eine offene Diskussion: «Viele haben ihr Vertrauen in die Experten verloren.»
Publiziert: 02.11.2020 um 09:46 Uhr
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Therapeutin Yvik Adler (55) kennt die Ängste ihrer Klienten: «Corona schafft Existenzängste. Der Druck ist gross.»
Foto: PD
Anian Heierli

In immer mehr Ländern schlagen Proteste gegen die Massnahmen in Gewalt um. Italien, Frankreich, Spanien – Demonstranten greifen die Polizei an. Auch in der Schweiz werden die Proteste aggressiver. In den Telegram-Chats, wo sich Corona-Skeptiker versammeln, werden mittlerweile schon offene Morddrohungen gegen Gesundheitsminister Alain Berset (48) ausgestossen. Die Nerven liegen blank.

Yvik Adler (55), Co-Präsidentin des Psychologenverbands (FSP), sagt zu BLICK: «Die Corona-Krise belastet die Gesellschaft. Das führt bei einzelnen Personen zu Druck oder mehr Gereiztheit. Man reagiert weniger gelassen.» Das lasse sich in Alltagssituation beobachten: «Etwa, wenn sich manche berufen fühlen, andere zurechtzuweisen.»

«Es braucht eine Pro-Kontra-Debatte»

Corona spaltet die Gesellschaft gerade in zwei Lager. Das Virus polarisiert. «Die einen befürworten alle Massnahmen, die anderen hinterfragen deren Verhältnismässigkeit», so Adler. In der öffentlichen Debatte seien Zweifler aber schnell «die Bösen» und würden nicht angehört. Für die Psychologin ist klar: «Es braucht unbedingt den Dialog. Politik und Behörden können der Polarisierung entgegenwirken. Doch hier hilft nur eine offene Diskussion, eine faktenbasierte Pro-Kontra-Debatte.»

Der schwedische Chef-Epidemiologe Anders Tegnell (64) räumte im Sommer Fehler ein: Der Staat habe die Altersheime zu wenig geschützt. «Diese authentische Kommunikation schafft Vertrauen», erklärt Adler. «Denn viele haben das Vertrauen in die Experten und Politik verloren.» Daran seien widersprüchliche Informationen mitschuldig. «Zuerst hiess es, die Maske nütze nichts. Heute wird sie zur Pflicht. Sie wird immer mehr auch zum politischen Statement. Unterschiedliche Experten-Meinungen führen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen.» Die Therapeutin ergänzt: «Aus gesundheitspsychologischer Sicht weiss man, dass Massnahmen besser umgesetzt werden, wenn Klarheit und Vertrauen herrscht.»

Zwei Punkte sind laut ihr massgebend für den aktuellen Stress innerhalb der Gesellschaft: existenzielle Sorgen und die Unklarheit darüber, wie lange die Pandemie noch dauert. Adler sagt: «Die Leute machen sich wirklich grosse Sorgen. Gerade wenn die eigene Branche stark unter Druck steht.»

Nachfrage nach psychologischer Hilfe deutlich gestiegen

«Nicht jeder ist gleichermassen von den Massnahmen betroffen», sagt sie. «Auch das polarisiert und teilt in zwei Lager.» Die Jugend habe andere Sorgen als die ältere Bevölkerung. Angestellte haben mehr Sicherheit als Selbständige. Manchen Branchen geht es besser als anderen. Auch verschiedene soziale Schichten spüren eine andere Not. «Die alleinerziehende Mutter in einer kleinen Wohnung erlebte den Lockdown im Frühling viel dramatischer als die Familie mit Haus und Garten.»

Dieser Druck, der momentan auf vielen lastet, zeigt sich konkret in Zahlen. Das Zwischenergebnis einer Umfrage innerhalb des Psychologenverbands zeige, dass bei 46 Prozent der Therapeuten die Nachfrage deutlich gestiegen ist.

Dabei ist gerade ein gesundes Sozialleben wichtig für die Psyche. Social Distancing geht laut Adler immer mit einer räumlichen Distanz einher. «Wir müssen sehr aufpassen, dass sich diese Distanz nicht weiter auf die Gesellschaft überträgt.»

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