Es ist ein Thema, über das in der Gesellschaft nach wie vor zu wenig geredet wird: psychische Probleme. Die Folgen sind verheerend. «Kinder und Jugendliche leben seit zehn Jahren in einer Dauerkrise», erklärt Susanne Walitza (54) im Interview mit den UZH News der Universität Zürich. Sie ist Klinikdirektorin der Universität Zürich und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die an psychischen Problemen leiden, habe sich allein im vergangenen Jahr von 20 auf 30 Prozent erhöht. Das grosse Problem: Der Anstieg steht einem fast stagnierenden Angebot an Therapieplätzen gegenüber.
Die Gründe für den massiven Zuwachs sind vielfältig. Klimakrise, Coronapandemie, Inflation, Ukrainekrieg – «wir benötigen mehr Therapieplätze als in den Jahren zuvor», schreibt Walitza.
Das bestätigt auch der Berner Psychiatrieprofessor Thomas Müller (56), als Blick ihn im Ambulatorium der Privatklinik Meiringen BE trifft. Er ist neben seiner Professur der ärztliche Direktor der psychiatrischen Klinik im Berner Oberland. Im Ambulatorium behandelt er Patienten, die aus der stationären Behandlung entlassen wurden. Der ADHS-Experte weibelt in Politik und Wirtschaft, dass das Angebot für junge Psychiatriepatienten ausgebaut wird. «Wir haben einen Notstand», fasst er die Lage zusammen.
Hochproblematische Situation
Die Privatklinik Meiringen hat 191 Betten, im kommenden Januar kommt in Thun BE das psychiatrisch-psychotherapeutische Zentrum für junge Erwachsene mit 30 stationären Therapieplätzen dazu. «Wir werden hier das wichtige Segment der 18- bis 25-jährigen Patienten abdecken», sagt Müller. «Wir bekommen viele Anrufe, ob wir noch jemanden aufnehmen können. Aber auch wir sind im Moment ausgebucht, die Situation ist hochproblematisch.»
Die Zahl der Menschen, die sich wegen psychischer Probleme behandeln lassen, steigt seit Jahren an. 1997 waren es noch 4,1 Prozent der Bevölkerung, 20 Jahre später schon 6,1 Prozent. Das zeigen Zahlen des Bundesamtes für Statistik.
Die Coronakrise hat die Entwicklung zusätzlich befeuert, psychische Probleme haben zugenommen. Gerade bei den Jüngsten. Der grosse Knackpunkt: Die Anzahl an Betten, die für psychiatrische Behandlungen in Schweizer Einrichtungen zur Verfügung stehen, nimmt unterdessen seit Jahren ab.
Standen 2021 in der Psychiatrie noch 8029 Betten zur Verfügung, waren es 2022 nur noch 6537 Betten. Es gibt 116 Standorte für stationäre psychiatrische Behandlungen und 237 für ambulante Therapien (Stand 2019). Im Jahr 2021 zählten die psychiatrischen Kliniken in der Schweiz insgesamt 16'200 Angestellte.
Durch die Abnahme der Zahl der Betten müssen Patientinnen und Patienten immer längere Wartezeiten erdulden. Wer eine ambulante psychiatrische Versorgung braucht, muss in der Regel drei bis sechs Monate auf einen Termin warten. Bei Kindern und Jugendlichen kann die Wartezeit sogar bis zu ein Jahr betragen.
Die Zahl der Menschen, die sich wegen psychischer Probleme behandeln lassen, steigt seit Jahren an. 1997 waren es noch 4,1 Prozent der Bevölkerung, 20 Jahre später schon 6,1 Prozent. Das zeigen Zahlen des Bundesamtes für Statistik.
Die Coronakrise hat die Entwicklung zusätzlich befeuert, psychische Probleme haben zugenommen. Gerade bei den Jüngsten. Der grosse Knackpunkt: Die Anzahl an Betten, die für psychiatrische Behandlungen in Schweizer Einrichtungen zur Verfügung stehen, nimmt unterdessen seit Jahren ab.
Standen 2021 in der Psychiatrie noch 8029 Betten zur Verfügung, waren es 2022 nur noch 6537 Betten. Es gibt 116 Standorte für stationäre psychiatrische Behandlungen und 237 für ambulante Therapien (Stand 2019). Im Jahr 2021 zählten die psychiatrischen Kliniken in der Schweiz insgesamt 16'200 Angestellte.
Durch die Abnahme der Zahl der Betten müssen Patientinnen und Patienten immer längere Wartezeiten erdulden. Wer eine ambulante psychiatrische Versorgung braucht, muss in der Regel drei bis sechs Monate auf einen Termin warten. Bei Kindern und Jugendlichen kann die Wartezeit sogar bis zu ein Jahr betragen.
Kritisch findet Thomas Müller vor allem, dass junge Hilfesuchende lange keinen Ansprechpartner haben. «Landet ein junger Mensch in der Depression, telefoniert er erst mal verzweifelt herum. Er kassiert sechs bis acht Absagen. Dann zieht er sich zurück, der Leidensdruck ist immens, der Zustand verschlechtert sich. Schliesslich landet er auf dem Notfall, der eigentlich schon überlastet ist. Dabei könnte man gerade in der frühen Phase mit wenig Einsatz am meisten erreichen.»
Gefährliche Medikamente
Auch gefährlich: Immer mehr junge Patienten versuchen, im Internet eine Selbstdiagnose zu stellen – und holen sich im Darknet Psychopharmaka. «Die Medikamentierung muss dem Experten überlassen werden. Wer zum Falschen greift, zerstört sein Leben», sagt Psychiater Müller.
Die Unterversorgung an psychiatrischer Hilfe kann aber noch viel schlimmere Folgen haben. Thomas Müller versucht, den Ernst der Lage deutlich zu machen: «Im schlimmsten Fall begeht der Patient Suizid, oder gefährdet Dritte. In der Schweiz ist Selbstmord bei jungen Männern eine der häufigsten Todesursachen.»
Kriminelle Karriere möglich
Auch eine kriminelle Karriere kann auf eine fehlende Behandlung zurückgehen. Thomas Müller arbeitete auf der Gefangenenstation des Inselspitals als Psychiater. «Gut die Hälfte der Häftlinge leidet unter ADHS und wurde nie abgeklärt oder behandelt. Man kann nur vermuten, ob sie auch mit Behandlung kriminell geworden wären. Aber die Häufung von jungen inhaftierten Männern mit unbehandelten psychischen Erkrankungen ist auffällig.»
Der Professor hat sich wegen der Häufung von Schiessereien in Schulen in den USA bei Berufskollegen umgehört. Auch bei diesen jungen Amokläufern war auffällig, dass sie zwar an einer psychischen Störung leiden, aber nie abgeklärt wurden.
Zu wenige Psychiater
Ein grosses Hindernis im Ausbau des Angebots ist der Mangel an Psychiatern. «Wir verdienen nur die Hälfte von einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt», sagt Thomas Müller. «Als Medizinstudent überlegt man sich dann zweimal, ob man den Beruf will.»
Einen Hoffnungsschimmer aber gibt es: «Bereits im kommenden Jahrgang schliessen 500 Ärzte mehr ab, als in den Jahren zuvor. Ob aber dann auch mehr Kandidaten als Fortbildung die Psychiatrie wählen, können wir nur hoffen.»