Psychische Probleme bei Jugendlichen nehmen zu. Die Zahl der Kriseninterventionen wegen Suizidgefährdung hat sich verdoppelt, junge Menschen warten oft lange, bis sie Hilfe bekommen, weil es zu wenig Plätze gibt und Fachkräfte fehlen. Fachleute sehen dringenden Handlungsbedarf – allmählich auch die Politik.
Herr Bischoff, Jugendliche und Kinder müssen im Kanton Zürich bis zu einem Jahr auf eine Abklärung durch einen Psychiater warten. Erleben auch Sie die Situation als derart gravierend?
Corsin Bischoff: Ja, bei gewissen psychischen Problemen muss man sehr lange auf einen Termin warten. Etwa bei Autismus-Abklärungen gibt es unglaublich viele Anmeldungen. Bei sehr akuten Fällen geht es in der Regel schneller. Wer etwa drängende Suizidgedanken hat, der sollte sofort einen Termin bekommen.
Was bedeutet es, wenn man so lange auf Hilfe warten muss?
Die Wartezeiten führen dazu, dass Probleme oft erst angegangen werden, wenn es eigentlich schon zu schlimm ist. Dann ist vielleicht bereits ein Klinikaufenthalt nötig. Hätte man das Kind ein halbes Jahr vorher behandelt, wären möglicherweise nur ein paar wenige Termine nötig gewesen.
Wenn ein Ereignis auch bei dir auch seelisch Spuren hinterlassen hat, zögere nicht, Hilfe zu holen. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es passende Angebote.
Pro Juventute, Telefon 147, Beratungstelefon und Chat für Kinder und Jugendliche oder www.147.ch. 24/7. Dargebotene Hand, Telefon 143, www.143.ch, 24/7.
Elternnotruf, 0848 35 45 55 (Festnetztarif) oder www.elternnotruf.ch. Nicht für medizinische Notfälle. Zwischen 23 und 8 Uhr wird der Anruf auf Pro Juventute umgeleitet.
Dureschnufe, www.Dureschnufe.ch, Plattform mit Tipps für psychische Gesundheit rund um Corona.
Hotline für Angststörungen und Panik, Telefon 0848 801 109. Öffnungszeiten an Feiertagen nur von 12 bis 14 Uhr, www.aphs.ch.
Wenn ein Ereignis auch bei dir auch seelisch Spuren hinterlassen hat, zögere nicht, Hilfe zu holen. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es passende Angebote.
Pro Juventute, Telefon 147, Beratungstelefon und Chat für Kinder und Jugendliche oder www.147.ch. 24/7. Dargebotene Hand, Telefon 143, www.143.ch, 24/7.
Elternnotruf, 0848 35 45 55 (Festnetztarif) oder www.elternnotruf.ch. Nicht für medizinische Notfälle. Zwischen 23 und 8 Uhr wird der Anruf auf Pro Juventute umgeleitet.
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Hotline für Angststörungen und Panik, Telefon 0848 801 109. Öffnungszeiten an Feiertagen nur von 12 bis 14 Uhr, www.aphs.ch.
Haben Sie ein Beispiel?
Etwa bei einem familiären Konflikt würde eine Familienberatung oft schon helfen. Aber wenn das nicht passiert, werden Konflikte immer schlimmer und schlimmer, und dann wird ein Kind beispielsweise depressiv oder stark frustriert. Dies kann dann auf die Schule überschwappen. Und wenn das Problem mal so gross wird, ist es auch nicht mit wenigen Therapiesitzungen gelöst.
Wie konnte es so weit kommen, dass Kinder und Jugendliche so lange auf ärztliche Hilfe warten müssen?
Schon als ich vor 16 Jahren in der Kinderpsychiatrie zu arbeiten begann, gab es mehr Anmeldungen als Therapieplätze. Doch es war nicht so gravierend wie jetzt. Besonders mit der Pandemie wurde die Situation dramatischer.
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Es gibt keine einfache Lösung. Es braucht einen Strauss an Massnahmen. Mehr Therapieplätze allein reichen nicht. Wir müssen als Gesellschaft ebenso dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche weniger belastet werden. Da braucht es Massnahmen in der Schule, damit diese weniger Stress auslöst. Auch Entlastungen in den Familien wären vonnöten. Ich erlebe Eltern sehr oft selber als belastet, was sich wiederum auf die Kinder auswirkt.
Die Junge Mitte fordert Massnahmen, die sicherstellen, dass psychisch kranke Kinder und Jugendliche innert vier Wochen durch Fachpersonen behandelt werden. Was braucht es dafür, und ist das überhaupt möglich?
Nicht jedes Kind, das angemeldet wird, braucht zwingend eine Behandlung innerhalb von vier Wochen. Zum Beispiel bei Lern- oder Konzentrationsproblemen kann man auch etwas länger warten. Es braucht also erst mal eine gute Einschätzung, wie dringend eine Behandlung ist. Wenn es dringend ist, sollte ein Termin innert vier Wochen stattfinden können, zum Teil auch innert ein bis zwei Wochen. Dafür braucht es mehr Therapieplätze bei Psychiatern und Psychologen in der Praxis, und die Ambulatorien von kantonalen psychiatrischen Diensten müssten deutlich ausgebaut werden.
Das Kantonsspital Winterthur, wo Sie arbeiten, hat seine stationäre Abteilung für Kinder und Jugendliche vergrössert. Hat sich die Situation seither entschärft?
Stationär ging im Kanton Zürich in den letzten zwei Jahren viel. Zahlreiche Kliniken haben die Plätze und ihr Angebot erweitert. Nun wäre es auch nötig, die ambulanten Plätze auszubauen. Besonders für diejenigen, die eine längere Psychotherapie brauchen, ist es ausgesprochen schwierig, einen Platz zu finden.
Wie bekommt man als Betroffener am schnellsten Hilfe?
Es ist leider so, dass das Leiden oder das Problem relativ schwerwiegend sein muss. Dann braucht es viel Energie und Geduld vonseiten der Eltern, die bei vielen Stellen Anfragen machen müssen. Manchmal hilft es, sich an den Hausarzt oder die Kinderärztin zu wenden, die möglicherweise direkte Kontakte zu Psychiaterinnen oder Psychotherapeuten haben.
Immer mehr Jugendliche brauchen psychiatrische Hilfe. Ist die Jugend anfälliger als früher?
Gerade nach den Corona-Lockdowns hatten wir sehr viele Jugendliche, denen es sehr schlecht ging. Das zeigte sich auch an vielen Suizidversuchen. Diese Situation hat sich etwas verbessert. Aber allgemein haben wir noch immer viele Junge, die über Druck, Mobbing und Einsamkeit klagen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die aktuelle Krisenstimmung, geprägt durch Klimawandel, Pandemie und Krieg, dürfte ein Grund sein oder auch der verstärkte soziale Druck über die sozialen Medien. Vielleicht kann man heute als Jugendlicher nicht mehr so unbeschwert und glücklich sein wie vor 30 Jahren.
Fällt es der heutigen Jugend einfacher, sich Hilfe zu holen?
Das Thema ist mehr in den Medien präsent und dadurch vielleicht weniger stigmatisiert. Früher dachte man eher, zum Psychiater geht man nur, wenn man völlig durchgedreht ist. Heute ist es akzeptierter, sich Hilfe zu holen. Zumindest hoffe ich es.