Toni Häne, Leiter SBB-Personenverkehr, über Verspätungen, Pannenzüge und Baustellen-Ärger
«Zahl der Baustellen wird noch steigen»

Der Chef Personenverkehr, Toni Häne, nimmt Stellung zu den SBB-Verspätungen. Er erklärt, wie er dank «Verschnaufpausen» die Pünktlichkeit erhöhen will. Und er verrät, die Paradestrecke Genf–St.Gallen reiche ihm nicht aus. Vor allem will Häne einen bestimmten Nachtzug.
Publiziert: 06.08.2019 um 23:35 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2019 um 07:06 Uhr
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SBB-Personenverkehrschef Toni Häne entschuldigt sich im BLICK-Interview bei den Fahrgästen.
Foto: Philippe Rossier
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Pascal TischhauserStv. Politikchef

Toni Häne, der Leiter SBB-Personenverkehr, empfängt BLICK an der Wylerstrasse in Bern. Er hat sich bereit erklärt, zur Pünktlichkeit der Bundesbahnen Stellung zu nehmen und seine Pläne zu verraten.

BLICK: Herr Häne, was ist eigentlich eine Stellwerkstörung?
Toni Häne: Wenn die Weichen- oder Signalstellsysteme nicht mehr funktionieren. Früher war das eine einfache Geschichte. Jetzt, wo das elektronisch geht, steckt oft ein Computerfehler dahinter. Aber Sie wollen ja darauf hinaus, weshalb wir derzeit mehr Verspätungen haben.

Genau, wer oft Bahn fährt, hat das Gefühl, die SBB sei derzeit laufend verspätet.
Diesen Eindruck teile ich nicht, ich schaue mir die Pünktlichkeitswerte täglich an. Aber wir reizen das System sehr aus. Ein kleines Vorkommnis kann grosse Auswirkungen nach sich ziehen. Heute fahren alle Züge gleichberechtigt im Takt. Wenn nun eine Baustelle morgens nicht rechtzeitig fertig wird, kriegen wir diese Verspätung über den Tag kaum mehr aus dem Netz. Kommt noch eine Türstörung dazu, wird es nochmals schwieriger. Zudem bringen internationale Fernzüge Verspätungen in unser Netz.

Geben Sie ausländischen Zügen die Schuld?
Sehen Sie: Fast 8000 Personenzüge bewegen sich täglich in der Schweiz im Takt von A nach B. Jede Störung im System ist herausfordernd. Fährt der Railjet aus Wien im sankt-gallischen Buchs in dieses System ein, hat er eine sehr lange Strecke hinter sich. Je weiter die Fahrt, desto grösser die Gefahr, dass ein Zug Verspätungen einsammelt. Und dennoch müssen wir auch die ausländischen Züge taktintegrieren. Es machte ja keinen Sinn, in Buchs den Railjet zu besteigen und zu einer Zeit in Zürich anzukommen, zu der kein anderer Zug in nützlicher Frist weiterfährt.

Und was unternehmen Sie gegen die verspäteten «Ausländer»?
Wir sind dran, für internationale Züge grössere Puffer einzuführen. Zuerst wollen wir aber wissen, wie positiv sich die Inbetriebnahme des Ceneri-Tunnels auf die Pünktlichkeit auswirkt.

Ein Bähnler durch und durch

Bis zu seiner Pensionierung wird der heute 63-jährige Toni Häne ein halbes Jahrhundert bei den SBB gearbeitet haben. Der Rheintaler startete seine Karriere im sankt-gallischen Au mit einer Bähnlerlehre. Heute ist Häne Geschäftsleitungsmitglied der SBB. 2018 wurde er Leiter Personenverkehr. Selbst in seiner Freizeit kann er nicht ohne Bahn: Als BLICK ihn trifft, kommt Häne grad aus den Ferien im Ausland – dort war er natürlich mit dem Zug.

Bis zu seiner Pensionierung wird der heute 63-jährige Toni Häne ein halbes Jahrhundert bei den SBB gearbeitet haben. Der Rheintaler startete seine Karriere im sankt-gallischen Au mit einer Bähnlerlehre. Heute ist Häne Geschäftsleitungsmitglied der SBB. 2018 wurde er Leiter Personenverkehr. Selbst in seiner Freizeit kann er nicht ohne Bahn: Als BLICK ihn trifft, kommt Häne grad aus den Ferien im Ausland – dort war er natürlich mit dem Zug.

Wir haben aber auch hausgemachte Verspätungen wegen Problemen im Inland: Fast 40 Prozent der Gleise sind sanierungsbedürftig.
Es ist bekannt, dass wir im Unterhalt der Infrastruktur Nachholbedarf haben. Die Aussage, dass fast 40 Prozent unserer Gleise sanierungsbedürftig sind, ist aber nicht korrekt. Diese Kategorisierung der Gleise in beispielsweise «schlecht» bedeutet nur, dass sie am Ende der Lebensdauer angekommen sind und eine Erneuerung ansteht. Mit entsprechendem Unterhalt kann man diese Gleise aber immer noch sicher und verfügbar betreiben. Das Wichtigste ist, dass die Sicherheit aller unserer Anlagen jederzeit gewährleistet ist. Dafür sorgen wir. Wir haben Langsamfahrstellen vor allem wegen Baustellen und kaum wegen dem Zustand der Anlagen. 

Eben, die SBB haben zahlreiche Baustellen.
Ja, und deren Zahl wird noch steigen. Einerseits entstehen diese wegen notwendiger Unterhaltsarbeiten, andererseits, weil wir ausbauen. Jetzt hat das Parlament ja wieder 13 Milliarden Franken für Ausbauten bewilligt. Dieser Rückhalt freut uns sehr. Doch all die Neubauten werden sich als Baustellen bemerkbar machen.

Wird zu viel ausgebaut, wodurch der Betrieb leidet?
Es ist eine Herausforderung: Im Moment haben wir zwischen Genf und Lausanne praktisch eine grosse Baustelle. Im Raum Zürich wird ständig gebaut, der Berner Hauptbahnhof wird ausgebaut, und zudem wird über Jahre zwischen Olten und Basel eine Baustelle sein. Das macht es nicht einfach, die Verbindungen Richtung Frankreich sicherzustellen.

Dann müssen wir uns also auf riesige Verspätungen einstellen?
Kaum. Wir sind mit einer Expertengruppe an Planungen, um genau das zu verhindern. Es ist aber immer ein Abwägen: Schliesst man Strecken ganz, um in einer Intensivphase rund um die Uhr zu arbeiten, oder schliesst man bei einer Doppelspur bloss eine Linie? Und natürlich gibt es Linien wie Genf–Lausanne und Zürich–Innerschweiz, wo die Nachfrage wächst. Hier können Sie keine Schliessung vornehmen. Nur schon die Buskapazitäten, die es statt der Schiene bräuchte, kann man gar nicht bereitstellen.

Das klingt aber doch nach einer grösseren Verspätungsphase.
Wir haben einen Plan, doch solange wir nicht sicher sind, dass er funktioniert, kann ich dazu noch nichts sagen.

Ein Grund für die Probleme der SBB ist ja auch der Pannenzug Dosto. Wann kommt er in den regulären Einsatz?
Weil der Zug verspätet geliefert wurde, mussten wir auch die erste Einführungsphase abkürzen, und so litten auch die Kunden unter den Anfangsschwierigkeiten. Im Moment sind 20 Kompositionen im Einsatz. Wir benötigen aber noch rasch eine mehr, weil wir diesen Sommer ein Event nach dem anderen bewältigen und dazu 1900 Extrazüge auf die Schiene bringen müssen. Es sieht aber gut aus, dass wir bald den 21. Fernverkehrs-Dosto erhalten und schon im September mit dem Dosto zwischen Zürich und Chur fahren. Auf der IC-1-Strecke von St. Gallen nach Genf fahren wir im nächsten Jahr.

Würden Sie heute den Dosto wieder bestellen?
Wir würden heute gleich entscheiden. Bombardier hat uns das beste Angebot gemacht. Dieses müssen wir nach den geltenden Regeln einer öffentlichen Ausschreibung nehmen. Da können wir nicht sagen, wir hätten in der Ostschweiz einen anderen guten Anbieter. Doch trotz der Anfangsprobleme: Der Dosto wird uns künftig noch viel Freude bereiten.

Bombardier hat den SBB ja vorgeworfen, man habe nachträglich Änderungen verlangt, die Zeit und Geld kosteten.
Das stimmt höchstens ansatzweise. Gewisse Anpassungen für handicapierte Menschen haben wir nachträglich verlangt, ja. Aber es ist wie bei IT-Projekten: Firmen geben knallhart kalkulierte Offerten ein und leben eigentlich von den nachträglichen Änderungen, von denen schwer zu sagen ist, ob sie der Besteller verlangt oder der Hersteller aufgedrängt hat. Zudem steht die Zeit nicht still. Wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass wir Steckdosen an den Plätzen brauchen? Doch heute sind Züge zu den Hauptverkehrszeiten rollende Arbeitsplätze. Wo früher Zeitungen raschelten, hören Sie heute die Leute auf ihren Laptops töggeln.

Es müssen also auch nach dem Zuschlag noch Änderungen möglich sein, um à jour zu bleiben?
Sehen Sie: Wir überarbeiten jetzt den Doppelstöcker, den alle kennen, den IC-2000. Nach dem Re-Fit werden Sie darin einen besseren Handyempfang haben, und vorne im Zug finden sich nicht nur vier Arbeitsplätze mit Steckdosen, sondern es gibt auch eine Fläche, auf der Sie Ihr Smartphone beim Hinlegen aufladen können. Der «alte» Doppelstöcker ist bald moderner als der neue Dosto. So schnell kann es gehen. Flexibilität ist darum unumgänglich.

Sie haben vor 48 Jahren Ihre Bähnlerlehre begonnen und seither immer bei den SBB gearbeitet. Einem Vollblut-Eisenbähnler muss das Herz bluten, wenn Reisende heute einen Zug früher nehmen, um den Anschluss in Zürich oder Basel zu schaffen, nicht?
Wenn wir die gewohnte SBB-Qualität nicht hinbekommen, tut das all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weh – nicht nur mir. Ich entschuldige mich deshalb bei den Fahrgästen für Verspätungen, möchte mich aber auch bei den Mitarbeitenden für den grossen Einsatz diesen Sommer mit den vielen Extrazügen und den hohen Temperaturen bedanken. Es wird in der Schweiz zu Recht verziehen, dass man sich zu einem Termin verspätet, wenn der Zug Verspätung hatte. Das muss so bleiben, deshalb versuchen wir ja, «Verschnaufpausen» fürs SBB-System einzubauen. Dank diesen Puffern an der Grenze und einer besseren Verteilung der Fahrgäste soll die Stabilität des gesamten Systems verbessert werden.

Und wie wollen Sie die Passagiere besser verteilen?
Wir brechen die Spitzen. Unser System ist auf die morgendliche Spitze Bern–Zürich ausgelegt. Deshalb bauen wir in Bern ja auch die Publikumsanlagen aus. Sie genügen morgens und abends dem Passagieraufkommen während vier Stunden nicht mehr. Und auch unsere Züge müssen derart lang sein für die Strecken Bern bis Winterthur und Lausanne bis Genf. Sonst brauchen wir nie so viele Plätze. Der Fernverkehrs-Dosto hat über 1300 Sitze. Hinter Winterthur werden diese kaum alle besetzt sein. Natürlich können Berufspendler nicht einfach einen späteren Zug nehmen. Für die anderen gibt es Sparbillette für schwach ausgelastete Züge. Ich habe aber noch eine Idee: Die Züge sollen nicht mehr in St. Gallen enden, sondern weiter bis nach Dornbirn und gar Feldkirch fahren. Ich will die Nachfrage im Vorarlberg abholen. Die Leute dort wollen zum Flughafen Zürich.

Sie wollen das Fliegen fördern? Haben Sie diesen Sommer nicht feststellen können, dass die Leute wieder mehr mit dem Zug verreisen?
Ich will nicht das Fliegen fördern – wenn die Leute zum Flughafen wollen, dann mit dem Zug. Und ja, wir stellen eine Zunahme fest. Wie gross diese genau ist, können wir aber erst Ende Jahr sagen. Aber sowieso boomt der ÖV: Wir zählen 2,65 Millionen Halbtax und 491'000 Generalabonnemente. Mitte der 80er-Jahre hatten wir etwa 20'000 GA.

Jetzt fordern viele mehr Nachtzüge. Wie kommen die SBB dem nach?
Wir klären die tatsächliche Nachfrage. Denn wir wollen wissen, wo wir nicht nur über den Sommer ausreichende Auslastung erwarten dürfen. Die Nachtzüge nach Berlin und Hamburg sind Wochen im Voraus ausgebucht. Hier würden zusätzliche Züge wohl Sinn machen. Und wir prüfen weitere Strecken. Ich persönlich will wieder einen Nachtzug nach Barcelona. Hier liegt ganz klar meine Priorität.

Und was braucht es dazu?
Vor allem den gemeinsamen Willen, dieses Angebot anzubieten. Wenn die französische und die spanische Bahnen mitmachen, können wir diesen Nachtzug fahren. Denn ich denke, die Nachfrage wäre da. Aber eben: Die Partner müssen mitziehen. Das war auch bei den ÖBB so. Die Österreicher haben uns angefragt, bevor sie die Nachtzüge von der Deutschen Bahn übernommen haben, ob wir ihnen in Zürich helfen. Heute ist die Limmatstadt nach Wien der zweitgrösste Nachtzug-Hub in Europa.

Verlangen Sie Subventionen oder eine Defizitgarantie?
Schon heute sind unsere Leistungen, die wir für das Nachtzug-Angebot der ÖBB erbringen, nicht kostendeckend. Priorität hat die Abklärung, welche Verbindungen überhaupt nachgefragt werden. Danach müssen wir die entsprechenden Partnerbahnen anfragen. Und dann erst geht es um die Wirtschaftlichkeit und darum, ob es eine Anschubfinanzierung braucht.

Der Bundesrat könnte die Vorgabe machen, dass Sie 30 Millionen Franken jährlich aus dem Fernverkehrsgewinn für ein Nachtzugnetz verwenden müssen.
Das wäre kaum zielführend. Man sollte das Geld dort einsetzen, wo die Nachfrage nachweislich vorhanden ist. Wenn Kunden und Partnerbahnen mitmachen, freuen wir uns, an gewissen Tagen nach Barcelona oder über Nacht zu anderen europäischen Metropolen zu fahren. Doch auch neue Tagesverbindungen nach Bologna und Turin könnten wir anbieten. Dass man das am Schluss quersubventionieren müsste, scheint mir klar. Aber wenn die Bahnkunden das wollen, machen die SBB mit.

Ex-Chef Weibel ist sich keiner Schuld bewusst

Die SBB haben zwischen 1995 und 2010 den Unterhalt vernachlässigt. Das sagen – die SBB selbst. Doch der Verantwortliche dafür – Ex-Bahnchef Benedikt Weibel (72) – sieht keinen Anlass zur Selbstkritik.

Die Zahlen, die der BLICK gestern präsentierte, könne er sich nicht erklären. Den Grund für den Zustand der Infrastruktur sieht er eher in der Bahn 2000, die 2005 in Betrieb ging und «alles verändert» habe: «Wir haben die Anzahl Züge um 13 Prozent erhöht. Von da ist der Unterhalt natürlich massiv gestiegen – wegen der Mehrbelastung. Das ist das Problem», so Weibel gestern gegenüber Radio SRF.

Dass sein Nachfolger als SBB-Chef, Andreas Meyer (58), einst sagte, er habe bezüglich Unterhalt eine marode Firma übernommen, bringt Weibel auf die Palme: «Das ist schon fast rufschädigend!»

Die SBB haben zwischen 1995 und 2010 den Unterhalt vernachlässigt. Das sagen – die SBB selbst. Doch der Verantwortliche dafür – Ex-Bahnchef Benedikt Weibel (72) – sieht keinen Anlass zur Selbstkritik.

Die Zahlen, die der BLICK gestern präsentierte, könne er sich nicht erklären. Den Grund für den Zustand der Infrastruktur sieht er eher in der Bahn 2000, die 2005 in Betrieb ging und «alles verändert» habe: «Wir haben die Anzahl Züge um 13 Prozent erhöht. Von da ist der Unterhalt natürlich massiv gestiegen – wegen der Mehrbelastung. Das ist das Problem», so Weibel gestern gegenüber Radio SRF.

Dass sein Nachfolger als SBB-Chef, Andreas Meyer (58), einst sagte, er habe bezüglich Unterhalt eine marode Firma übernommen, bringt Weibel auf die Palme: «Das ist schon fast rufschädigend!»

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