Ohne die Corona-Krise wäre SVP-Präsident Albert Rösti (52) längst nicht mehr im Amt. Doch die ausserordentliche Lage beflügelt nicht nur seine Partei, sondern auch ihn selbst, denn die Krise begünstigt die Begrenzungs-Initiative der SVP. BLICK trifft einen gut gelaunten Rösti in der Bernexpo zum Interview, während einer Sitzungspause der Umwelt- und Energiekommission.
BLICK: Herr Rösti, Sie haben am Wochenende bestimmt auch gegen die Corona-Massnahmen des Bundes demonstriert!
Albert Rösti: Nein, wir haben andere Mittel. Die SVP hat sich als erste Partei um die grossen wirtschaftlichen Schäden gekümmert und schon Ende März verlangt, dass die rigorosen Restriktionen rasch, aber risikobasiert gelockert werden.
Die Wirtschaft ist wichtiger als die Gesundheit? Die SVP geht über Leichen!
Wirtschaft und Gesundheit sind kein Gegensatz! Eine intakte Wirtschaft ist Voraussetzung für eine gesunde Bevölkerung. Die Schutzmassnahmen sind wichtig und richtig – aber sie müssen so ausgestaltet sein, dass Wirtschaften möglich bleibt. Wir dürfen die negativen Folgen des Lockdowns nicht ausser Acht lassen: psychische und gesundheitliche Schäden bis hin zur Suizidproblematik, die durch Existenzängste ausgelöst wurden.
Dann hat der Bundesrat in der Krise versagt?
Er hat zu Beginn rasch und richtig gehandelt. Dank den ersten Schockmassnahmen hat die Bevölkerung die Hygiene- und Abstandsregeln gut eingehalten. Doch danach hat er zu unflexibel auf die wirtschaftlichen Schäden reagiert – etwa als es um eine frühzeitige Öffnung der Blumenläden oder Sortimentsbeschränkungen ging. Der Bundesrat hat drei Wochen verloren. Und jede Woche kostet uns Milliarden.
Christoph Blocher spricht von einer «Diktatur der Verwaltung», das ist doch absurd.
Die Verwaltung – gerade das Bundesamt für Gesundheit – und der Bundesrat haben derzeit eine zu grosse Machtfülle. Die Alleinherrschaft des Bundesrats muss sofort beendet und das Notrecht aufgehoben werden.
Das Parlament ist doch wieder am Drücker!
Das ist gut so. Aber leider hat es bisher eine schlechte Falle gemacht und sogar noch mehr Geld für Partikularinteressen gesprochen als vom Bundesrat gefordert. So hätte man zum Beispiel das Problem der Kitas stufengerecht Sache der Kantone lassen können.
SVP und FDP haben im Bundesrat die Mehrheit. Warum haben Sie die Lockerung trotzdem nicht geschafft?
Diese Frage müssen Sie der FDP stellen.
Nicht nur. Besonders Ihr Bundesrat Guy Parmelin hat mit auf die Bremse gedrückt.
Glaube ich nicht. Doch ich verstehe, wenn die stärker betroffenen Regionen wie das Tessin oder die Westschweiz sensibler reagieren. Das zeigt aber: Es braucht eine Rückkehr zum Föderalismus. Kommt eine zweite Welle, müssen die Kantone mehr Spielraum haben, mit welchen Massnahmen sie reagieren wollen. Einen zweiten gesamtschweizerischen Lockdown ertragen wir nicht.
Sie pochen auf eine weitgehende Öffnung, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Braucht es weitere Massnahmen wie etwa Feriengutscheine?
Die Bevölkerung soll ihr Geld in der wunderschönen Schweiz ausgeben! Es braucht sicher keine staatlichen Konjunkturmassnahmen. Stattdessen soll der Staat die Wirtschaft nicht noch mehr belasten: Das neue CO2-Gesetz mit höheren Abgaben auf Benzin, Gas oder Heizöl und Flugticketabgabe muss nun vom Tisch. Ebenso der Vaterschaftsurlaub oder die Überbrückungsrente.
Steuersenkungen, wie etwa mit dem geplanten Kinderabzug, liegen dann aber auch nicht mehr drin.
Der Kinderabzug ist bereits vom Parlament genehmigt und stärkt die Kaufkraft des Mittelstands, deshalb stehe ich weiterhin dafür ein. Für zusätzliche Steuersenkungen – etwa bei der Mehrwertsteuer – ist der Spielraum natürlich beschränkt. Denn in den nächsten Jahren kommt jährlich ein zu kompensierendes Defizit von fünf bis zehn Milliarden Franken auf den Bund zu, sollen die jetzt gemachten Schulden nicht auf die nächste Generation übertragen werden.
Ohne zusätzliche Steuereinnahmen lässt sich das Loch nicht stopfen.
Doch, im Staatshaushalt gibt es noch viel unnötige Luft. Im normalen Budget haben wir eine Reserve von ein bis zwei Milliarden Franken. Statt für Asyl- und Entwicklungshilfe fünf Milliarden auszugeben, muss man hier rigide sparen. Auch ist auf erwähnte Mehrausgaben zu verzichten. Die Alternative wären Steuererhöhungen – und das wäre derzeit für die Wirtschaft das Schlimmste, was passieren könnte.
Wieso nicht einfach auf neue Kampfjets verzichten? Das bringt auf einen Schlag sechs Milliarden Franken.
Die Krise lehrt uns eines: Vorsorge und Sicherheit sind entscheidend. Niemand hat vor einem Jahr mit einer Pandemie gerechnet, welche die Schweizer Wirtschaft lahmlegt. Wir waren ungenügend vorbereitet. Deshalb müssen wir auch für den Fall eines bewaffneten Konflikts vorbereitet sein. Oder auf andere Szenarien.
Nämlich?
Es geht zum Beispiel um die Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln, weshalb wir die Agrarpolitik 2022, die den Selbstversorgungsgrad reduziert, zurückweisen müssen. Oder um die Versorgungssicherheit bei Elektrizität, weshalb die Energiestrategie rasch angepasst werden muss. Aber auch die Grenzkontrolle muss aufrechterhalten werden. Die Kriminalität wird kleiner und der Schutz vor einer zweiten Corona-Welle kann besser gewährleistet werden.
Im Frühling 2016 übernahm Albert Rösti (52) das SVP-Präsidium von Toni Brunner (45), der ihm eine Partei in Hochform übergab. Als Präsident musste Rösti bei den Wahlen 2019 eine Schlappe hinnehmen: Die SVP sackte auf 25,6 Prozent ab. Eigentlich wollte er Ende März zurücktreten, doch wegen der Corona-Krise bleibt er als «Corona-Präsident» noch ein paar Monate. Der studierte Agronom wuchs in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen beiden Kindern in Uetendorf BE.
Im Frühling 2016 übernahm Albert Rösti (52) das SVP-Präsidium von Toni Brunner (45), der ihm eine Partei in Hochform übergab. Als Präsident musste Rösti bei den Wahlen 2019 eine Schlappe hinnehmen: Die SVP sackte auf 25,6 Prozent ab. Eigentlich wollte er Ende März zurücktreten, doch wegen der Corona-Krise bleibt er als «Corona-Präsident» noch ein paar Monate. Der studierte Agronom wuchs in Kandersteg BE auf und lebt heute mit seiner Frau Theres und seinen beiden Kindern in Uetendorf BE.
Die Corona-Krise spielt der SVP mit ihrer Begrenzungs-Initiative in die Karten. Im BLICK haben Sie schon einmal gesagt: Je schlechter es den Schweizern gehe, desto mehr profitiere die SVP.
Tatsache ist, dass wir derzeit knapp zwei Millionen Menschen in Kurzarbeit haben, 150'000 sind arbeitslos – und es werden jeden Tag mehr. Das ist es doch völlig klar, dass die Inländer bei der Stellenbesetzung Vorrang haben müssen und wir nicht noch billige Arbeitskräfte aus dem Ausland holen. Das ist nicht verträglich mit der Personenfreizügigkeit, zumal der Druck zur Zuwanderung massiv sein wird, da es den umliegenden Ländern noch schlechter geht als uns.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin kommt zu anderen Schlüssen. Er bezeichnet die Initiative als schädlich für den Standort Schweiz.
Guy Parmelin muss natürlich im Namen des Gesamtbundesrats sprechen.
Er hat klar von seiner persönlichen Meinung gesprochen.
Ich habe ihn gefragt, ob er nicht auch der Meinung sei, dass man gerade als Wirtschaftsminister jetzt erst einmal zu den Schweizerinnen und Schweizern schauen muss. Gerade aus wirtschaftlicher Sicht braucht es für die Schweiz die Begrenzungs-Initiative. Ich habe ihm gegenüber auch meine Enttäuschung über seine Aussagen ausgedrückt.
Sie haben ihm die Leviten gelesen?
Ich habe meine Enttäuschung über seine Aussagen ausgedrückt.
Hat es etwas genützt?
Bundesräte lassen sich nicht gerne führen (lacht).
Wird sich mit der Krise nun auch der Abstimmungskampf zur Initiative verschärfen?
Überfüllte Strassen und Züge, überteuerte Wohnungen und Bodenverschleiss bleiben ein Thema. Akut ist aber im Moment, dass über zwei Millionen Leute keine oder weniger Arbeit haben. Auf dieses Argument werden wir vehement hinweisen. Es sollte jedem einleuchten: Man kann nicht einfach Leute ins Land lassen, wenn wir hier so viele Arbeitslose haben. Gerade in der Krise wird zudem deutlich, dass die EU ein Schönwetterkonzept ist. Jedes Land hat nur für sich geschaut. Jetzt muss auch die Schweiz für sich schauen.
Eigentlich hatten Sie Ende März als SVP-Präsident aufhören wollen und mussten wegen der Corona-Krise bleiben. Macht es unter den neuen Vorzeichen nun doch wieder Spass?
An dieser Krise hat sicher niemand Spass. Für das Land ist wichtig, dass die Wirtschaft rasch wieder in Schwung kommt. Dazu leiste ich gerne meinen Beitrag.
Am 27. September wird über die SVP-Initiative abgestimmt. Sind Sie dann immer noch Präsident?
Ich bleibe so lange Präsident, bis eine ordentliche Ablösung möglich ist. Ich hoffe und erwarte aber, dass wir unsere nächste Delegiertenversammlung am 22. August abhalten können. Ich bin zuversichtlich, dass das Versammlungsverbot bis dahin aufgehoben wird. Das hoffe ich aber nicht in erster Linie wegen meiner Ablösung, sondern für alle Veranstaltungen sowie für den Tourismus.