Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Bundesrats, in der über weitere Lockerungsmassnahmen entschieden wird, fordert Finanzminister Ueli Maurer (69, SVP) in einem Interview mit der «NZZ», dass die Schweiz in den nächsten Schritten wieder «stärker risikobasiert» vorgeht.
In Kantonen mit wenigen Neuansteckungen müsse man schon «unheimliches Pech» haben, um angesteckt zu werden. «Mir kommt es vor, als würden wir den Leuten sagen, sie sollen alle daheim bleiben, weil starker Regen zu erwarten ist.» Vielleicht reiche es, wenn der Bund sage, man solle einen Schirm mitnehmen und gute Stiefel anziehen, fällt Maurer dem Bundesrat in den Rücken.
Der Finanzminister zweifelt daran, dass es nötig ist, so lange alle Restaurants und viele Läden geschlossen zu halten. Man könne auf die Eigenverantwortung der Wirte zählen.
Mit solchen Aussagen stellt sich Maurer gegen die Aussagen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Demnach sollten die Menschen weiterhin grösstenteils zu Hause bleiben – in der ganzen Schweiz. Immerhin forderte das Coronavirus schon über Tausend Todesopfer, und unzählige Patienten mussten auf der Intensivstation behandelt werden. In einem Punkt könnte Maurer an der heutigen Sitzung aber einen Erfolg feiern: BLICK weiss, dass die Beizen schon früher öffnen könnten als geplant.
Bundesverwaltung soll sparen
Bislang hatte Maurer die Bundesratsentscheide unterstützt. Manchmal auch schweren Herzens: «Das alles kollegial mitzutragen, war wirklich nicht immer einfach.» Er habe schon früh auf die wirtschaftlichen Folgen hingewiesen. Angesichts der gesundheitlichen Risiken hätte man sich für dasselbe Vorgehen entschlossen, wie andere Länder. «Ich frage mich, ob das wirklich notwendig war.» Er sei gespannt, wie Schweden, das eine liberale Strategie gefahren hat, aus der Krise herauskommt.
Finanzminister Maurer versucht mit einem milliardenschweren Hilfspaket, die Schäden für die Unternehmen zu lindern. Die Schweiz werde 2020 voraussichtlich ein Defizit von 30 bis 50 Milliarden Franken machen. «Schon das allein ist dramatisch.» Dazu kommen die Kredite für kleine und mittelgrosse Betriebe von maximal 40 Milliarden Franken. «Angesichts dieser Summen ist es mir als Finanzminister nicht mehr wohl in meiner Haut.»
Die Corona-Kosten werden den Bund noch jahrelang belasten. Das unterstrich Maurer in einer finanzpolitischen Lageanalyse, die er letzten Mittwoch seinen Regierungskollegen unterbreitet hat. Ein Auszug davon liegt BLICK vor. Dort veranschlagt der Finanzminister die Gesamtmassnahmen auf bis zu 95 Milliarden Franken. Sparpotenzial sieht Maurer beim Bund: Es brauche ein Moratorium für neue Ausgaben. Zudem hat die Bundesverwaltung Speck angesetzt, weil sie noch nie richtigen Spardruck erlebt hat», sagt er im Interview.
Laut Maurer könne man die Neuverschuldung nicht so schnell abbauen. «Sonst müssten wir in den Budgets der kommenden Jahre extreme Abstriche machen.» Er schlägt vor, dass künftig sämtliche Ausschüttungen der Nationalbank verbindlich für den Abbau der Corona-Schulden verwendet werden sollen.
Er ritzt das Kollegialitätsprinzip
Indem Maurer klar macht, dass er die Corona-Massnahmen für übertrieben hält, ritzt er das Kollegialitätsprinzip, wonach der Bundesrat öffentlich mit einer Stimme aufzutreten hat. Nicht zum ersten Mal: Vor einigen Jahren kritisierte er in einem Interview den Bundesrat und vor allem den damaligen Bundespräsidenten Didier Burkhalter (60, FDP). (brb)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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