Freiwillig war der Entscheid nicht!
Weshalb Fricker wirklich zurücktrat

Jonas Fricker tritt ab. Immer mehr Grüne wollten ihn nicht länger verteidigen. Er spielte gar mit dem Gedanken, die Partei zu wechseln.
Publiziert: 01.10.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:25 Uhr
Marcel Odermatt

Gestern Samstagabend zog Jonas Fricker (40) die Konsequenzen. Der Grünen-­Nationalrat tritt zurück. Nach drei Tagen auf Tauchstation wurde der Druck auf Fricker offenbar zu gross. «Ich habe mich entschieden, das Nationalratsmandat niederzulegen. Das ist das stärkste Zeichen, das ich setzen kann», schreibt Fricker in einer Mitteilung.

Der Holocaust sei ein grauenvolles Verbrechen, er lasse keine Vergleiche zu. Der Politiker aus dem Aargau hatte am Donnerstag Schweine in der Massentierhaltung mit jüdischen Auschwitz-Opfern verglichen: «Die Menschen, die dorthin deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine, die fahren in den sicheren Tod.»

Immer mehr Grüne wendeten sich von ihm ab

SonntagsBlick weiss: Freiwillig kam der Entscheid nicht. Immer mehr Grüne wendeten sich von ihm ab. Am Freitag fand im ­Aargau gar eine Grünen-Krisen­sitzung statt. Dabei kam es zum Streit. Daniel Hölzle (35), Chef der Aargauer Grünen, sagt dazu: «Wir hatten in den vergangenen Tagen mehrmals Kontakt. Dabei habe ich ihm gesagt, dass ich als Präsident der Grünen des Kantons Aargau solche Äusserungen nicht verteidigen könne.»

Auch die Präsidentin der Schweizer Grünen, Regula Rytz (55), sei über Frickers Aussagen erzürnt gewesen, heisst es aus ­ihrem Umfeld.
Offenbar spielte der Politiker gar mit dem Gedanken, die Partei zu wechseln. Hölzle sagt: ­«Jonas Fricker hat nicht ernsthaft mit einem Parteiwechsel gedroht, er hat sich immer loyal den Grünen gegenüber verhalten.»

Tauziehen hinter den Kulissen

Bis Samstagabend fand hinter den Kulissen ein Tauziehen statt. «Dass sich Jonas Fricker schlussendlich zum Rücktritt entschieden hat, habe ich erst am Samstagabend kurz vor der Veröffentlichung seiner Mitteilung erfahren», sagt Hölzle.

Einer seiner schärfsten innerparteilichen Kritiker, alt Nationalrat Jo Lang (63), zeigt sich von Frickers Entschluss beeindruckt: «Jonas Fricker hat mir am Samstagmorgen per SMS mitgeteilt, dass er daran denke zurückzutreten», sagt Lang.

«Er hat sich zudem erkundigt, ob ich ihm bei der Aufarbeitung helfen würde. Ich habe zugesagt. Er zeigt sich lernfähig und lernwillig. Davor habe ich den höchsten Respekt», so Lang. Auch Grünen-Fraktionschef Balthasar Glättli (45) sagt: «Ich habe grossen Respekt vor dem Entscheid von Jonas Fricker.» Er beweise mit seinem Schritt, dass solche menschenverachtenden Aussagen keinen Platz in der Politik haben.

«Nicht zur Tagesordnung übergehen»

Trotz des Rücktritts wollen die Grünen den Fall aufarbeiten und sich neue Regeln geben. «Wir können nach diesem unhaltbaren Vergleich nicht zur Tagesordnung übergehen, auch wenn die jüdische Gemeinschaft Jonas Frickers Entschuldigung akzeptiert hat», sagt Glättli. Man habe beschlossen, an der nächsten Sitzung eine Diskussion zu führen.

«Ziel ist es, ein Grundsatzpapier zu erarbeiten, das so klar wie Klossbrühe ist.» Die Fraktion wolle ihre Werte fixieren, damit sich alle Mitglieder daran orientieren. Humanismus und Respekt vor der Menschenwürde gehörten dazu: «Solche Entgleisungen dürfen nie mehr vorkommen, solche Relativierungen sind völlig deplatziert.»

Foto: Getty Images

Während des Naziregimes wurden rund sechs Millionen Juden ermordet. Dass sich Vertreter ­einer Schweizer Partei eigens verpflichten müssen, deren Andenken nicht mit Füssen zu treten, ist ein Novum – zumal die Grünen in Fragen der politischen Moral keine Abstriche dulden.

Nachdem die rechtsextreme AfD vor einer Woche in den Deutschen Bundestag eingezogen war, gab Parteichefin Rytz den Nachbarn im Norden im «Deutschlandfunk» Tipps für den Umgang mit Rechtspopulisten. Vor diesem Hintergrund trifft Frickers Versagen die Partei doppelt schmerzlich.

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