L. V. (48) wurde in Moskauer Café verhaftet
Lausanner leidet im Putin-Knast

Russland wirft L. V. vor, für Frankreich spioniert zu haben. Der Franzose arbeitete für eine Genfer NGO und wohnt seit Jahren in Lausanne.
Publiziert: 08.06.2024 um 16:43 Uhr
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Aktualisiert: 09.06.2024 um 07:46 Uhr
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L. V. in einer Metallzelle in Moskau.
Foto: AFP
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Donnerstagmittag, im Zentrum von Moskau: L. V.* (48) sitzt in einem Café, als ihn vermummte Polizisten umzingeln. Vier Männer in schwarzen Uniformen, auf dem Ärmel aufgenähte Russland-Flaggen. Sie führen V. ab, packen ihn in einen Van und fahren davon.

Noch am Abend veröffentlichen Moskauer Behörden ein Video der Verhaftung. Der Festgenommene habe versucht, an militärische Informationen in Russland zu gelangen. Er sei ein ausländischer Agent.

Wer ist L. V.? Und was ist an den Vorwürfen dran?

Vieles deutet auf eine von Russland inszenierte Aktion hin. Klar ist: Der Verhaftete ist Franzose, lebt aber seit Jahren in Lausanne VD. Er arbeitet für das Zentrum für humanitären Dialog, eine NGO mit Sitz in Genf. Deren Ziel ist es, bewaffnete Konflikte zu beenden. Sie vermittelt zwischen verfeindeten Parteien und versucht, Verhandlungen aufzugleisen. Dafür erhielt sie auch Geld vom Bund.

Der Lausanner, laut der Karriereplattform Linkedin «Spezialist für den postsowjetischen Raum», war in den vergangenen Jahren an informellen Vermittlungsversuchen in der Ostukraine beteiligt. Er hielt sich laut Insidern regelmässig in der russischen Hauptstadt auf.

Ihm drohen fünf Jahre Haft

V. promovierte in Paris über den Tschetschenienkonflikt und schrieb mehrere Bücher über Russland, den Kaukasus und Zentralasien. Bevor er vor mehr als zehn Jahren zur Schweizer NGO stiess, arbeitete er unter anderem für das Rote Kreuz in Genf.

Nun will Moskau ihn als Spion anklagen. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Am Freitag wurde der Franzose in Handschellen in einen Moskauer Gerichtssaal geführt und in einem Metallkäfig angehört. Die Richter ordneten Untersuchungshaft bis mindestens am 5. August an.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (46) forderte an einer Medienkonferenz die «schnellstmögliche Freilassung» des Lausanners. «Er hat in keiner Weise für Frankreich gearbeitet», sagte Macron. Der Betroffene werde jeglichen konsularischen Schutz erhalten.

Ist die Verhaftung eine Retourkutsche?

Das Aussendepartement (EDA), das bereits mehrfach mit der Genfer NGO zusammengearbeitet hat, schreibt auf Anfrage: «Die betroffene Person hat nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit. Der konsularische Schutz liegt in der Verantwortung Frankreichs.»

Die Festnahme erfolgt in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen Russland und Frankreich. In den letzten Tagen kritisierte Moskau wiederholt Frankreichs Unterstützung für die Ukraine. Macron hatte angekündigt, dass sein Land Kiew Mirage-Kampfjets liefern wolle. Ausserdem sollen ukrainische Soldaten in Frankreich ausgebildet werden.

Einen Tag vor der Festnahme des NGO-Mitarbeiters verhaftete der französische Inlandsgeheimdienst zudem einen russisch-ukrainischen Doppelbürger wegen des Verdachts auf Planung einer Gewalttat. Die Festnahme von V. könnte die Retourkutsche des Kremls sein.

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