Joseph Bonnemain offen wie nie
Was ist aus Ihrer Jugendliebe geworden, Herr Bischof?

Die katholische Kirche steht massiv unter Druck. Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, bietet am Dienstag einen «heissen Draht» an: Alle können ihn anrufen, ihm ihre Meinung sagen und kritische Fragen stellen. Die ersten Antworten gibt er Blick.
Publiziert: 09.12.2024 um 08:45 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2024 um 09:30 Uhr
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Bischof Joseph Bonnemain sagt: «Sex ist das grösste Geschenk Gottes an uns Menschen.»
Foto: keystone-sda.ch

Auf einen Blick

  • Bischof Bonnemain äussert sich zu kirchlichen Themen
  • Frauen können Führungsämter in der Kirche innehaben, aber nicht Priesterinnen werden
  • «Sex ist das grösste Geschenk Gottes an uns Menschen»
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Im Bistum Chur läuten am Dienstag nicht nur die Glocken, sondern auch das Telefon. Am Apparat: Bischof Joseph Bonnemain (76). Er organisiert einen «Telefontag», an dem man ihm und weiteren Vertretern der katholischen Kirche zwischen 12 und 19 Uhr die Meinung sagen oder Fragen stellen kann (unter der Nummer 044 559 55 00). Blick hat ihm bereits vorab Fragen gestellt, Bischof Bonnemain antwortete schriftlich.

Blick: Herr Bischof, Sie weibeln dafür, dass das Parlament die Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit nicht kürzt. Warum mischen Sie sich in die Politik ein?
Bischof Joseph Bonnemain: Das Beste im Menschen fördern zu wollen, ist keine Politik, sondern gelebte Nächstenliebe. Das Evangelium lädt uns ein, solidarisch, geschwisterlich und grossherzig zu handeln. Jesus hat uns eingeschärft, auf der Seite der Armen, Verfolgten, Nackten, Kranken, Gefangenen, Hungrigen, Durstigen zu sein: nur so können wir ihm wirklich begegnen. Als Bischof muss ich kohärent mit dem Evangelium leben und handeln. Das bedeutet, sich zu Wort zu melden, wenn es notwendig erscheint. 

Brückenbauer Bonnemain

Bischof Joseph Bonnemain (76) ist Bischof von Chur GR und neuer Vizepräsident der Schweizer Bischofskonferenz. Er wurde in Barcelona (Spanien) geboren, hat eine katalanische Mutter und einen jurassischen Vater. Zuerst studierte er Medizin in Zürich, später Theologie und Kirchenrecht in Rom. Bonnemain wandelte sich vom katholischen Hardliner und Opus-Dei-Mitglied zu einer moderaten Stimme des zerstrittenen Bistums Chur. Bonnemain sieht sich als Brückenbauer und befindet sich in einer Sandwichposition: Für progressive Kreise ist er zu konservativ. Sie sehen in ihm einen Opus-Dei-Mann, der der Kirche ein freundliches Gesicht gibt, aber sich nicht gegen Rom auflehnt. Hardliner wiederum werfen ihm vor, seine strengen Ideale von einst verraten zu haben. Bonnemain verantwortet in der Schweizer Bischofskonferenz das Missbrauchsdossier.

Bischof Joseph Bonnemain (76) ist Bischof von Chur GR und neuer Vizepräsident der Schweizer Bischofskonferenz. Er wurde in Barcelona (Spanien) geboren, hat eine katalanische Mutter und einen jurassischen Vater. Zuerst studierte er Medizin in Zürich, später Theologie und Kirchenrecht in Rom. Bonnemain wandelte sich vom katholischen Hardliner und Opus-Dei-Mitglied zu einer moderaten Stimme des zerstrittenen Bistums Chur. Bonnemain sieht sich als Brückenbauer und befindet sich in einer Sandwichposition: Für progressive Kreise ist er zu konservativ. Sie sehen in ihm einen Opus-Dei-Mann, der der Kirche ein freundliches Gesicht gibt, aber sich nicht gegen Rom auflehnt. Hardliner wiederum werfen ihm vor, seine strengen Ideale von einst verraten zu haben. Bonnemain verantwortet in der Schweizer Bischofskonferenz das Missbrauchsdossier.

Warum dürfen Frauen keine Priesterinnen werden?
Alle Päpste – bis in die Gegenwart – haben uns gelehrt, dass dies nicht möglich sei. Papst Franziskus setzt sich aber zugleich entschieden dafür ein, dass Frauen in der Kirche Führungsämter innehaben können und geht mit seinem Beispiel voran. In den letzten Jahren haben bereits einige Frauen entscheidende Positionen in der Kirche eingenommen. In meinen Bischofsrat, dem Leitungsgremium unseres Bistums, habe ich fast gleich viele Frauen wie Männer berufen. 

Warum dürfen Priester keinen Sex haben?
Sex ist das grösste Geschenk Gottes an uns Menschen. Es ist Ausdruck der Liebe und der Bereitschaft, sich aus Liebe einem anderen Menschen innig zu schenken. Echter Sex ist das Gegenteil von Egoismus, von Selbstgenuss. Das Erleben von Sex fordert die ganze Person, Körper und Seele, und vereinigt zwei Menschen zutiefst. Sex darf nicht auf eine mechanische, unverbindliche, kurzlebige, oberflächliche Übung reduziert werden. Die Priester verzichten auf Sex, um wiederum tiefgründig und für ganz viele Menschen ein Geschenk zu sein. Wenn man erlebt, dass dadurch andere Menschen glücklich werden, ist man auch selber glücklich.

Warum diskriminiert die Kirche Menschen, die geschieden oder queer sind?
Geschiedene und queere Menschen gehören zur Kirche wie alle anderen Gläubigen. Sie sind in der Kirche willkommen. Die Kirche ist ein Zuhause für alle. Man darf einen Menschen nicht auf einen Aspekt seiner gesamten Persönlichkeit reduzieren. Jeder Mensch ist ein Reichtum mit vielen Facetten, Neigungen, Qualitäten, Schwächen und Stärken. Die Kirche ist für alle der gemeinsame Weg, sich gegenseitig zu ermutigen, besser zu werden und die Fülle zu erreichen, welche Gott für alle Menschen gedacht hat. 

Warum feuert der Papst nicht den Abt von St-Maurice? Er soll einem Jugendlichen an den Hintern gefasst haben.
Jemanden aus einem Amt zu entlassen, ist eine Strafe. Um eine Strafe aufzuerlegen, ist ein Prozess erforderlich; alles andere ist Willkür, entspricht keinem Rechtsstaat. Das gilt für das staatliche wie das kirchliche Recht. Wie der Vatikan erklärt hat, besteht heute keine Grundlage dafür, gegen den Abt von St-Maurice strafrechtlich vorzugehen. Nur er selber kann, nach Abwägung der vorhandenen Umstände, seine Entscheidung treffen.

Warum öffnet der Papst nicht die Archive im Vatikan, obwohl es wichtig ist, Schweizer Missbrauchsfälle aufzuarbeiten?
Jedes Archiv hat ein Reglement, das festlegt, ab wann, unter welchen Umständen und in welcher Form die vorhandenen Dokumente konsultiert werden können. Berechtigte Ausnahmen sind auch möglich, und dafür kann ein begründeter Antrag eingereicht werden. Ob ein solcher Antrag für einzelne Fälle gestellt wurde, kann ich nicht sagen. 

Warum wurde Charles Morerod Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, obwohl er Fehler bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen gemacht hat?
Bischof Charles Morerod hat in einigen Fällen unterlassen, die formell vorgesehenen kirchenrechtlichen Voruntersuchungen einzuleiten oder ausreichende Abklärungen vor einzelnen Ernennungen zu treffen. Deswegen wurde er vom Vatikan ermahnt, was er eingesehen und auch akzeptiert hat. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass er nicht vertuscht, Täter gedeckt oder nicht angezeigt hätte. Aus diesem Grund haben wir, die anderen Schweizer Bischöfe, ihn mit gutem Gewissen zum Präsidenten gewählt.

Sie haben mal von Ihrer Jugendliebe Blanca in Barcelona erzählt. Was ist aus Blanca geworden?
Sie ist glücklich verheiratet und Mutter zweier erwachsener Kinder. Das freut mich sehr. Ihr geht es gut, und sie hat ihre Bestimmung gefunden – wie ich meine. Persönlich habe ich sie anlässlich des Todes meiner Mutter vor 19 Jahren zum letzten Mal gesehen. Wir sind freundschaftlich verbunden.

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