Der Tag, der New York und die ganze Welt erschütterte
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Rückblick auf 9/11:Der Tag, der New York und die ganze Welt erschütterte

Forschung zeigt: So zäh sind wir Menschen
Was uns 9/11 über Trauma lehrte

Die Anschläge vor zwanzig Jahren haben eine Forschungswelle ausgelöst, die das Wissen über Psychologie bis heute prägt. Es hat sich gezeigt: Menschen erholen sich viel rascher als erwartet.
Publiziert: 11.09.2021 um 21:04 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2021 um 10:20 Uhr
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Dieses Bild ging um die Welt: Das brennende World Trade Center in New York.
Foto: Reuters
Karin A. Wenger

Als Bilder der brennenden Hochhäuser am 11. September 2001 über Bildschirme flimmerten, sahen allein in den USA mindestens 80 Millionen Menschen zu. Live. Die Anschläge sprengten jegliche Vorstellungen davon, was möglich ist, und was erwartet werden kann. Experten sagten schon damals gravierende Folgen für die psychische Gesundheit von Millionen von Menschen voraus.

Wenige Tage nach den Anschlägen zeigten knapp die Hälfte der Menschen in den USA in einer Befragung ein oder mehrere Symptome von extremem Stress. Bei den Bewohnern rund um New York war der Anteil sogar noch höher. Ein Drittel der Personen, die von den Anschlägen direkt betroffen waren, erfüllte einige Wochen später die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), bei den Einwohnern von Manhattan war es jeder Dreizehnte.

Die posttraumatische Belastungsstörung

Typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind Flashbacks, die so stark sind, dass eine Person das schreckliche Ereignis wieder durchlebt. Oft haben Betroffene Mühe, Ruhe und Schlaf zu finden, sie vermeiden Nachrichten oder Personen, die sie an das Ereignis erinnern. Erhalten sie keine Therapie, ist das Risiko hoch, zusätzlich an einer Depression zu erkranken.

PTBS ist nicht wie lange vermutet eine Angst-, sondern primär eine Gedächtnisstörung. Betroffene können die Gefahr und die damit verbundenen Gedanken und Gefühle nicht dem Ort und Zeitpunkt des vergangenen Ereignisses zuordnen, sondern sie sehen die Bedrohung als gegenwärtig an.

Typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sind Flashbacks, die so stark sind, dass eine Person das schreckliche Ereignis wieder durchlebt. Oft haben Betroffene Mühe, Ruhe und Schlaf zu finden, sie vermeiden Nachrichten oder Personen, die sie an das Ereignis erinnern. Erhalten sie keine Therapie, ist das Risiko hoch, zusätzlich an einer Depression zu erkranken.

PTBS ist nicht wie lange vermutet eine Angst-, sondern primär eine Gedächtnisstörung. Betroffene können die Gefahr und die damit verbundenen Gedanken und Gefühle nicht dem Ort und Zeitpunkt des vergangenen Ereignisses zuordnen, sondern sie sehen die Bedrohung als gegenwärtig an.

Der Schrecken verbreitete sich bis in die Schweiz. 40 Prozent fühlten sich gemäss einer Studie der Uni Basel im November 2001 bedroht, und die Zahl depressiver Verstimmungen stieg deutlich an.

Damit erreichten die Terroristen ihr Hauptziel: In die Köpfe möglichst vieler Menschen eindringen. Ihre Botschaft: Ihr seid niemals sicher.

Die Forschungswelle nach 9/11

Doch 9/11 hatte auch positive Folgen – zumindest wissenschaftlich. PTBS war damals schon bekannt, in den USA vor allem im Zusammenhang mit Veteranen des Vietnamkriegs und mit Frauen, die häusliche Gewalt erlebt hatten. Heute aber wissen wir viel mehr über die Krankheit. Denn die Anschläge lösten eine regelrechte Forschungswelle aus.

«Das Ereignis war schrecklich, aber für Wissenschaftler bot es ideale Studienmöglichkeiten», sagt der Neuropsychologe Thomas Elbert (71) von der Universität Konstanz, der auf Traumaforschung spezialisiert ist. Unzählige Menschen waren dem gleichen Ereignis ausgesetzt, und alle konnten ganz genau sagen, wie sie es erlebten: Manche waren vor Ort, andere weiter weg, einige verloren Angehörige, viele sahen die Bilder nur im Fernsehen.

Für quasi jedes Szenario gab es genügend Betroffene, die Forschende untersuchen konnten. So habe man neue Hinweise gefunden, unter welchen Umständen jemand besonders gefährdet sei, psychische Probleme zu entwickeln, erklärt Elbert.

«Es ist nie ein einzelnes Ereignis, das die Psyche eines Menschen zerstört», sagt er. Der entscheidende Faktor sei, was eine Person früher schon erlebt habe. Wer als Kind Gewalt ausgesetzt war, vielleicht in der Familie, vielleicht auf der Strasse, sei anfälliger, nach einer erneuten Bedrohung an einer psychischen Erkrankung zu leiden.

Menschen erholen sich rasch

9/11 zeigte aber auch: Menschen können viel aushalten. Entgegen der Erwartung von Experten belegten Studien ein halbes Jahr nach den Anschlägen, dass die seelischen Schäden unter den Einwohnern Manhattans rapide gesunken sind. Forscher nennen das: Resilienz. Das bedeutet, dass eine Person widerstandsfähig ist und ein Trauma rasch bewältigen kann.

Resilienz fand Thomas Elbert indes nicht nur in den USA. Der Forscher betrieb Feldstudien in Ländern wie Afghanistan, Kongo oder Somalia. «Sogar in Kriegsgebieten lernen Menschen, mit der Situation zu leben», sagt er. Was ihn an der Diskussion über psychische Folgen von 9/11 stört: «Alle reden über die Toten und Traumatisierten in den USA. Aber über die Bevölkerung in Ländern, die als Folge des «war on terror» angegriffen wurden, redet kaum jemand.» In von Krieg geprägten Gesellschaften sei bis zu einem Drittel der Menschen so stark traumatisiert, dass sie nicht mehr für sich selbst sorgen könnten, sagt er.

Die Bilder der brennenden Hochhäuser haben die Vorstellung davon, was möglich ist, für immer verändert. Die Attentäter wollten Menschen traumatisieren, doch für die meisten in westlichen Ländern wird 9/11 eine Erinnerung bleiben, die ihnen heute keine Angst mehr macht. Unfreiwillig hat die Al Kaida mitgeholfen, wissenschaftlich zu belegen, dass Menschen unglaublich widerstandsfähig sind.

«Die Wunde nach 9/11 ist nie richtig verheilt»
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Expertin über Psyche Amerikas:«Die Wunde nach 9/11 ist nie richtig verheilt»
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