Das Schild, das vor dem Gartenbad Bachgraben in Basel steht, erinnert an bessere Zeiten. Darauf abgebildet ist ein QR-Code. Wer ihn mit dem Handy einliest, kann einen Einzeleintritt lösen. «Lange Warteschlangen sollen der Vergangenheit angehören», teilte das Basler Erziehungsdepartement mit, als es vor einem Jahr die Tafel aufstellte.
Am Freitag muss trotz hochsommerlicher Temperaturen niemand anstehen. Mit Digitalisierung hat das jedoch nichts zu tun. Es gibt schlicht kaum Gäste an diesem Brückentag zwischen 1. August und Wochenende. Vor dem Kassenhäuschen schichtet ein Badi-Angestellter mit dem Laubbläser abgebranntes Feuerwerk um, ansonsten herrscht Ruhe.
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Das stellt die Betreiber vor ein Rätsel: weshalb diese Flaute? In Basel gehen die Sommerferien in zwei Wochen zu Ende. Eigentlich erwartete man jetzt Rückkehrer von den Stränden, die ihren gebräunten Teint konservieren oder zur Schau stellen wollen. Es würden mehr Leute im Rhein schwimmen gehen, lautet eine Erklärung für die Misere. Für Jugendliche und Kinder gebe es zahlreiche Angebote, die nichts mit Wasser zu tun hätten, eine andere. Vielleicht hat es aber doch mit dem Wetter zu tun, das unbeständig war und bleibt in diesem Sommer. Ein Badmeister sagt es unverblümt so: «Bislang war diese Saison beschissen.»
Das zeigt sich auch anhand der Zahlen: Im Vergleich zum Durchschnitt der letzten zehn Jahre hat man heuer in den Basler Freibädern 60 Prozent weniger Besucherinnen und Besucher verzeichnet – ein dramatischer Einbruch. Peter Portmann, Leiter Bäder bei der Stadt, macht sich denn auch keine Illusionen. Ein prächtiger Spätsommer könne ganz bestimmt noch einiges bewirken, sagt er zu Blick. «Ich denke allerdings nicht, dass es noch möglich ist, die Zahlen der letzten Jahre zu erreichen.»
Eine Oase der Ruhe
Man kann es auch positiv sehen: Das Gartenbad, immerhin das grösste der Schweiz ohne Seezugang, ist in diesen Tagen eine Oase der Ruhe. In den Bahnen ziehen ein paar einsame Schwimmer in Zeitlupe vorbei – kein Vergleich zur schäumenden Hektik des Pariser Olympiabeckens. Nur ab und zu hört man einen entfernten «Plättler» vom Becken, wo der Sprungturm steht. Und zwischen den auf saftigem Rasen verstreuten Badetüchern sind die Abstände derart gross, dass man fast meinen könnte, der ehemalige «Mister Corona» Daniel Koch hätte sie persönlich angeordnet.
Erstaunt über die Baisse zeigt sich Badi-Chef Sandro Macaluso. Kopfzerbrechen bereitet ihm dabei hauptsächlich die Planerei. Es gibt schöne Tage, an denen kaum jemand vorbeikommt. Und dann wieder bedeckte Nachmittage, an denen es einen regelrechten Run auf die Badi gibt. Am vergangenen Mittwoch etwa musste Macaluso kurzfristig Personal aufbieten, um die Aufsicht sicherzustellen – normalerweise macht er das einige Wochen im Voraus.
Langeweile macht sich breit
Dass während der ersten Saisonhälfte praktisch nie Hochbetrieb herrschte, spielte Macaluso indes in die Karten. Er hat die Leitung der Badi erst in diesem Sommer übernommen, das schlechte Wetter verlieh ihm die Gelassenheit, das Team kennenzulernen und die Abläufe einzustudieren. Zu tun gibt es sowieso immer etwas im Bachgraben: Wenn keine Bienenstiche verarztet oder Jungs aus dem Pool spediert werden müssen, die mit Unterhose unter der Badehose gegen Anstands- und Badiregeln verstossen, bleibt Zeit fürs Rasenmähen oder Jäten. «Mit der Zeit wirds allerdings langweilig», so Macaluso.
Das miserable Wetter der ersten Sommermonate hat nicht nur in Basel zu signifikanten Einbussen geführt. Wo man nachfragt, ertönt dasselbe Klagelied. «Das unbeständige Wetter hat gegenüber dem Vorjahr zu einem massiven Besucherrückgang geführt», sagt Caroline Moser, die stellvertretende Leiterin des Berner Sportamts. Lediglich 321'000 Personen hätten in den ersten beiden Monaten der Saison die Freibäder besucht. Im selben Zeitraum des Vorjahrs waren es rund 736'000.
Gastrobetriebe leiden
Leidtragende sind auch die Gastrobetriebe in den Freibädern. Im Kanton Zug rechnet man – auch bei einem schönen Spätsommer – mit einer Umsatzeinbusse von rund 20 Prozent. Kurzarbeit oder gar Entlassungen seien dennoch kein Thema, lässt ein Sprecher der Stadt Zug mitteilen: «Die Angestellten arbeiten im Stundenlohn, auch an regnerischen Tagen gibt es Reinigungsarbeiten oder Reparaturen zu erledigen.»
Keine grossen Hoffnungen macht man sich im Kanton Aargau. Spitzenmonat sei jeweils der Juni, sagt die Verantwortliche Regina Wenk. Obwohl es vereinzelt Tage gab, an denen die Temperaturen hoch waren und der Himmel blau, verzeichnete zum Beispiel das Freibad Schachen in Aarau bis Ende Juni bloss 29'300 Eintritte – gegenüber 55'370 Eintritten im letzten Jahr. Ein Sommerendspurt würde die Saison kaum retten, sagt Wenk: «Nach den Ferien reicht die Zeit nicht, die Verluste auszugleichen.»
Halb so viele Badegäste wie im letzten Jahr registrierte man bislang auch in St. Gallen. Entsprechend tief seien die Umsätze, sagt Susanna Dohm von der Dienststelle Infrastruktur, Bildung und Freizeit und hofft auf einen «schönen und warmen August».
Es bleibt wechselhaft
Mit Langzeitprognosen beschäftigt sich Sarah Baumann von Meteo Schweiz. Der Ausblick aufs Temperaturmittel der Monate August bis Oktober fällt nur für Optimisten positiv aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Nord- und Ostschweiz wärmer als im Durchschnitt wird, beträgt 50 bis 60 Prozent. «Somit ist es also fast fifty-fifty, ob es im Spätsommer wärmer sein wird als im Mittel oder nicht», so Meteorologin Baumann.
Als ziemlich sicher gilt, dass die nächste Woche freundlich startet. Die Daten lassen am Montag auf stabiles, warmes bis heisses Wetter hoffen. Ab Dienstag nimmt laut Baumann die Gewitterneigung zu, und schon am Mittwoch und Donnerstag werde es wahrscheinlich wieder verbreitet Schauer und Gewitter geben. «Weiter hinaus sind die Prognosen sehr unzuverlässig», sagt Baumann, «momentan sieht es nach wechselhaftem Wetter aus».
Fast einen Monat länger als im 2023 dauerte es in der Stadt Zürich, um auf eine Million Badi-Eintritte zu kommen. Die Marke fiel am vergangenen Dienstag, 83 Tage nach der Saisoneröffnung – und 26 Tage später als im Vorjahr, wie das Sportamt mitteilte. Der Rekord von damals wird in dieser Saison also mit Bestimmtheit nicht getoppt. Der diesjährige Stand bei den Eintritten entspreche rund 60 Prozent der letztjährigen Zahlen, sagt Dorian Eichholzer vom Sportamt. Letztmals so tiefe Frequenzen mass man in der Stadt Zürich im Jahr 2021, als den Sonnenhungrigen miserables Wetter und die Pandemie das Badevergnügen vergällten.
Flipflops und Pelerine
Es bleibt also dabei: Wer in dieser Saison einen Fuss vor die Tür setzt, benötigt Flipflops und Pelerine. So auch am vergangenen 1. August in Bern, wo sich um die Mittagszeit nur ein paar wenige Badegäste im Freibad Weyermannshaus eingefunden haben. Während eine unerschrockene Familie im Bistro Pommes frites bestellt, weht eine Böe trockenes Laub über die Terrasse unter den leeren Tischreihen vorbei. Vorboten des Herbstes – oder eines nahenden Gewitters?
Der Himmel über Bümpliz verdunkelt sich, und plötzlich ist man sich nicht mehr so sicher, ob das Grollen nun aus den Wolken stammt oder von ungeduldigen Kids, die ihre 1.-August-Böller frühzeitig abfeuern.
Die Dauergäste sind die ersten, die ihre Liegestühle zuklappen und in die Dreiviertelhosen steigen. Dann folgt auch schon der Gong aus dem Lautsprecher – und eine berndeutsche Frauenstimme verkündet das Motto des Sommers 2024: «Liebe Badegäste, es ist ein Gewitter im Anzug. Wir bitten alle, so schnell wie möglich aus dem Wasser zu gehen.»