Gefasst sitzt er auf der Anklagebank, hört seinem Verteidiger zu und macht Notizen. Werner W.* (70) sieht aus wie ein harmloser Rentner: Glatze, weisses Hemd und beiges Sakko. Sein Gesicht ist braun gebrannt und sympathisch. Er ist der Typ Mann, dem man an der Kasse im Supermarkt gerne den Vortritt lässt.
Umso mehr überraschen die Vorwürfe gegen ihn. W. ist angeklagt wegen Betrug, unlauteren Wettbewerb, Falschbeurkundung und Geldwäsche. Er soll der Kopf von 19 Schenkkreisen sein. Jahrelang hat er gutgläubigen Menschen in den Kantonen Uri und Tessin das Geld per Schneeballsystem aus der Tasche gezogen, so der Vorwurf. Es gilt die Unschuldsvermutung. Gestern wurde ihm der Prozess gemacht.
Anwalt sieht seinen Mandanten zu Unrecht allein angeklagt
Nur: Der Angeklagte kam nicht zu Wort. Dafür drehten sich die Anwälte im Kreis. Verteidiger Fabian Zuberbühler stellte gar die ganze Ermittlung in Frage. Sie sei «tendenziös». Denn: «Polizei und Staatsanwaltschaft fokussierten unzulässig nur auf meinen Mandanten als einzigen Beschuldigten.» Dabei funktioniere ein Schenkkreis allein, wenn das Schneeballsystem immer wieder mit neuen Personen gefüttert werde.
«Jede Einzahlung ist strafbar», so Zuberbühler. «Personen, die nun mit dem Finger auf meinen Mandanten zeigen, müssten mit ihm hier auf der Anklagebank sitzen.» Sein Seitenhieb ging an die Privatkläger, die als Geschädigte auftreten, weil sie Geld an den Angeklagten verloren. Damit drehte Zuberbühler den Spiess um und machte aus Opfern kurzerhand Täter.
Staatsanwalt verweist auf BLICK-Berichte
Staatsanwalt Graf konterte: «Der Angeklagte liess die geschädigten Personen glauben, es handle sich um ein legales Finanzierungsprojekt.» Er verwies dahingehend auf die BLICK-Berichterstattung, die den Fall ins Rollen brachte. In einem ersten Artikel habe BLICK das Personen-Finanzierungsprojekt infrage gestellt, in einem zweiten die Methoden dahinter. Tatsächlich zeigten BLICK-Recherchen einst: W. legte bei seiner Akquise auch Dokumente der Finanzmarktaufsicht (Finma) und alte Bundesgerichtsurteile vor. Mit der Argumentation, sein System sei «legal» und in einer «rechtlichen Grauzone».
Erst kürzlich übernahm Zuberbühler die amtliche Verteidigung: «Mein Vorgänger machte nichts. Er beantragte noch nicht mal Akteneinsicht!» Für ihn steht fest: «Man hätte intervenieren müssen. Jeder habe ein Recht auf Verteidigung.» Der Anwalt beantragte, das Verfahren einzustellen oder die Untersuchung neu aufzunehmen. Das Gericht will bis Ende Woche entscheiden.
* Name bekannt