Die Proteste in den USA arten aus. So sehr, dass Experten sogar vor einem Bürgerkrieg warnen. Manfred Berg (60), Professor für amerikanische Geschichte an der deutschen Universität Heidelberg und Autor zahlreicher Publikationen zu den Rassenbeziehungen in den USA, sagt gegenüber BLICK: «Die Debatte um die Gefahr, dass die USA auf einen Bürgerkrieg zusteuern, wird seit Jahren immer ernsthafter geführt, und die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen.»
Die Gefahr steigt mit den aktuellen Ausschreitungen massiv an. Berg: «Das Land ist heillos polarisiert, und die Neigung zur Gewalt nimmt rasant zu. Rechtsextreme Milizen bereiten sich inzwischen offen auf bewaffnete Auseinandersetzungen vor.»
«Trump giesst Öl ins Feuer»
Auch Josef Braml (52), USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Autor des Buches «Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit», warnt vor der Gefahr, dass das Land nicht nur politisch, sondern auch ethnisch weiter gespalten wird.
Der gewaltsame Tod von George Floyd (†46) sei der Funke, der die «gefährliche soziale Mischung aus Verzweiflung und Rassismus» zur Explosion gebracht habe. Bei der afroamerikanischen Bevölkerung seien viele historische Traumata reaktiviert worden. Braml: «Mit seinen Aufrufen zu noch härterer Polizeigewalt hat Trump weiteres Öl ins Feuer gegossen.»
Ernsthafter Dialog gefragt
Marco Steenbergen (57), USA-Experte an der Uni Zürich, hält zwar einen vollständigen Bürgerkrieg für eher unwahrscheinlich, sorgt sich aber, wenn Trump das Recht auf das Tragen von Waffen unterstreicht. Steenbergen: «Im amerikanischen Kontext könnten solche Aussagen von einigen leicht als Rechtfertigung für Gewalt gegen Demonstranten interpretiert werden. Sollte dies geschehen, dann ist eine weitere Eskalation der Situation nicht auszuschliessen.»
Einen Ausweg sieht Steenbergen nur in der «seriösen Auseinandersetzung mit der Rassenungerechtigkeit». Auch 155 Jahre nach dem Ende des Sezessionskriegs bleibe dies eine offene Wunde. Steenbergen: «Wir brauchen einen ernsthaften Dialog, der sich in konkreten Massnahmen niederschlägt, insbesondere im Bereich der Strafjustiz.»
Horrorszenario bei den Wahlen
Das grösste Horrorszenario wäre für Manfred Berg ein knapper und umstrittener Ausgang der Präsidentschaftswahl im November, den der Verlierer nicht akzeptieren will. Für Berg steht fest: «Dann ist Gewalt vorprogrammiert.»
Ein neuer Bürgerkrieg in den USA wäre laut Berg nicht mit dem Sezessionskrieg zu vergleichen, als reguläre Armeen gegeneinander in offenen Schlachten kämpften. «Aber eine massive Eskalation politischer Gewalt auch durch organisierte Gruppen ist durchaus vorstellbar.»
An Waffen würde es jedenfalls nicht mangeln, denn statistisch gesehen befinden sich pro Amerikaner 1,2 Waffen in Privatbesitz.