Erst noch trat der Iran als furchteinflössender Rächer auf, der die USA zerstören wollte. Nun geben sich die Mullahs in Teheran plötzlich ganz zahm. Der Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine hat in der Bevölkerung grosse Wut gegenüber dem fanatisch-religiösen System entfacht. Tausende Iraner gingen am Samstag auf die Strasse, obwohl sie mit massiven Repressalien rechnen müssen. Sie wagten sogar, Plakate des ermordeten Generals Qassem Soleimani (†62) niederzureissen.
Erst nach drei Tagen Leugnen hat die Regierung auf Drängen von Präsident Hassan Rohani (71) zugegeben, die Maschine am 8. Januar fünf Minuten nach dem Start irrtümlich mit Raketen abgeschossen zu haben. Rohani twitterte: «Das ist ein unverzeihlicher Fehler.» Er versprach, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die Familien der 176 Opfer zu entschädigen. Sogar der Oberste Revolutionsführer, Ayatollah Ali Chamenei (80), wies das Militär an, das eigene Versagen zuzugeben.
Zerrissenes Land
Die Revolutionsgarden hatten das Flugzeug als feindlichen Marschflugkörper eingestuft, der sich einer «strategisch wichtigen Militäranlage» näherte. Der Kommandant der Luft- und Weltraumabteilung der Revolutionsgarden, Amir Ali Hadschisadeh, sagte, der zuständige Offizier habe der Zentrale die Gefahr melden wollen, aber genau in diesem Zeitpunkt habe das Kommunikationssystem versagt. Hadschisadeh zeigt sich reuig: «Als ich davon erfahren habe, wünschte ich mir, lieber selbst tot zu sein, statt Zeuge dieses Unglücks.»
Diese unerwartete Wende der Tonalität im Iran zeigt die Zerrissenheit des Landes. Zwischen der moderaten Regierung um Rohani und den islamisch-konservativen Revolutionsgarden, die wie ein Staat im Staat funktionieren, tobt ein Machtkampf.
Rohani gilt als Gegner des ermordeten Generals Soleimani, der Anführer der zu den Revolutionsgarden gehörenden Al-Quds-Brigaden war. Rohani kritisiert die übermächtige Rolle der Revolutionswächter, die eine eigene Justiz und Gefängnisse sowie ein eigenes Wirtschaftsimperium unterhalten.
Über 1000 Demonstranten getötet
Es waren diese Revolutionswächter, die bisher jeden Ansatz eines Aufstands erstickten. Äusserst brutal gingen die Garden vor, als im November 2019 gegen die Erhöhung der Benzinpreise demonstriert wurde: Die USA sprechen von über 1000 Personen, die im Kugelhagel der Revolutionsgarden starben. Damals verlangsamte die iranische Regierung das Internet im Land dramatisch, damit der Austausch der Demonstranten über soziale Netzwerke erschwert wurde.
Abschuss stärkt Opposition
Direkt nach dem Tod Soleimanis hatte sich die Bevölkerung zunächst hinter das Regime gestellt. Doch nun dreht der Wind. In Teheran ertönten in den Strassen Rufe, die den Rücktritt des geistlichen Staatsoberhaupts Ali Chamenei fordern. Es gab sogar Demonstranten, die Schilder mit der Aufschrift «Tod den Lügnern!» und «Tod dem Diktator» trugen.
Die jüngsten Proteste nach dem Flugzeug-Abschuss haben eine neue Qualität. Anders als bei den Demos gegen die Benzinerhöhung, protestieren nun auch Studenten und Intellektuelle. Sie bezeichnen die Sicherheitskräfte als «ehrlos» und organisierten an der Amir-Kabir-Universität in Teheran eine Trauerfeier.
Britischen Botschafter verhaftet
Selbst der britische Botschafter Rob Macaire (53) ging auf die Strasse. Er wurde deswegen für einige Stunden festgenommen. Der Vorwurf: Er soll die Demonstranten provoziert haben, «radikale Aktionen» durchzuführen.
In London reagierte man empört. Der britische Aussenminister Dominic Raab (45) sagte: «Die grundlose und unbegründete Festnahme unseres Botschafters in Teheran ist eine ungeheuerliche Verletzung internationalen Rechts.»
Trump twittert in Farsi
In Washington beobachtet US-Präsident Donald Trump (73) die Proteste mit Genugtuung. Er verspricht den Demonstranten Unterstützung. Auf Farsi, der persischen Sprache, twitterte er: «Ich stehe seit Beginn meiner Präsidentschaft an Ihrer Seite, und meine Regierung wird Ihnen auch weiterhin zur Seite stehen.»
In einem weiteren Tweet forderte er, die iranische Regierung müsse Menschenrechtsorganisationen erlauben, «die anhaltenden Proteste des iranischen Volkes» zu beobachten und darüber zu berichten. «Es kann weder ein weiteres Massaker an friedlichen Demonstranten noch eine Abschaltung des Internets geben. Die Welt sieht zu.»
Mit seinem Anschlag auf den mordenden General Soleimani hat Trump den Iran in Wallung gebracht. Die neue Bewegung und das tödliche Missgeschick beim Abschuss der ukrainischen Maschine bringen die Revolutionswächter arg ins Schwanken.
Geheimer Fax an Schweizer Botschaft
Inzwischen weiss man auch, dass die Schweiz eine wichtige Rolle bei der Verhinderung einer Eskalation der Iran-Krise gespielt hat. Wie das Wall Street Journal schreibt, habe die Trump-Regierung kurz nach dem Anschlag auf General Qassem am 3. Januar über eine verschlüsselte Leitung einen Fax an die Schweizer Botschaft in Teheran geschickt mit der Bitte, die Nachricht an die iranischen Behörden weiterzuleiten.
Die Hauptbotschaft: keine Eskalation. Der Schweizer Botschafter in Teheran, Markus Leitner (53), habe die Mitteilung umgehend dem iranischen Aussenminister Mohammed Javad Sarif (60) überbracht.
Selbst die renommierte New York Times schreibt, dass bei den Vermittlungen kein europäischer Partner wichtiger war als die Schweiz.
Der Konflikt zwischen dem Iran und den USA spitzt sich immer weiter zu. Im Newsticker halten wir Sie über die Vorkommnisse auf dem Laufenden.
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