Architekt Ernst Spichtig (75) hat einen guten Teil des Schweizer Klein-Venedig gebaut. Auch am Donnerstag steht im Quartier Ried in Sachseln OW das Wasser aus dem über die Ufer getretenen Sarnersee immer noch hüfthoch. Die Anwohner sind sich die Unannehmlichkeiten schon gewohnt: Aktuell können sie sich zwischen ihren Häusern nur watend mit Anglerhosen oder mit Booten bewegen. Die Kanalisation ist ausser Betrieb. Toilette und Dusche können nicht benutzt werden, die Gemeinde hat am Dorfrand mobile Toiletten und Dusch-Container aufgestellt.
Zuvorderst am Ufer hat Ernst Spichtig (75) sein Ferienhaus. Er hat im Ried acht Häuser gebaut. Als Blick ihn besucht, sitzt auf der Veranda von seinem Holzhaus und telefoniert. Schon wieder ist ein Ferienhausbesitzer am Draht, der sich nach seinem Haus im Hochwasser erkundigt. «Noch ist alles gut», kann der pensionierte Architekt beruhigen. «Es ist nicht so schlimm wie 2005», fügt er an.
Zugang nur mit Kanu oder Fischerstiefeln
Um Spichtig zu besuchen, muss der Blick-Reporter ins Kanu. Der Senior ist gut gelaunt. Er sagt: «Wir haben gerade noch einmal Glück gehabt. Wenige Zentimeter, und das Wasser wäre in die Isolation gelaufen.» Er schaut auf den Massstab im Wasser, der Spiegel steht auf 471 Meter über Meer.
«Hier sollte man eigentlich nicht wohnen», sagt er nachdenklich. «Früher war das Ried einfach ein wunderschönes Ferienhausgebiet. Wenn es überschwemmt wurde, sind wir halt nicht hin. Jetzt ist es anders, es ist Bauzone.» Er selber hat neben den ganzen Ferienhäusern auch noch ein Mehrfamilienhaus im Ried als Architekt gebaut. «Die Bewohner müssen in Kauf nehmen, dass sie bei Hochwasser nicht auf die Toilette können. Und nicht duschen. Oder eine Camping-Toilette aufstellen. Es ist so wunderschön hier, das wiegt die Nachteile lange wieder auf.»
Den Senior macht es aber muff, dass manche Leute in den Garagen Büros eingerichtet haben – und sich dann aufregen, dass Wasser reinläuft. «Die Garagen sind nicht für das gedacht», sagt Spichtig.
Häuser um 65 Zentimeter angehoben
Sein Vater hat in den fünfziger Jahren das Land für fünf Franken pro Quadratmeter gekauft, er hat sein Haus 1977 gebaut. Das Haus hat sich gut gehalten, obwohl es auf Sumpf gebaut ist. «Der Trick ist, Holz statt Beton zu verwenden, damit das Ganze möglichst leicht ist», sagt er. Alle seine Werke in Sachseln sind so gebaut. Auch das Mehrfamilienhaus. Unten Beton, oben Holz. Nach dem Hochwasser 1997 änderten sich noch die Vorschriften: «Manche Häuser mussten wir um 65 Zentimeter anheben, damit die Versicherung bei Überschwemmung noch zahlt», erklärt er.
Trotz der Massnahmen erwischte es beim Mega-Hochwasser 2005 auch sein Haus. Der Architekt erinnert sich: «Der Seespiegel stieg bis zum Picasso hoch», und zeigt zu einer Replika an der Wand. Er macht sich für die Zukunft grosse Sorgen. «In diesem Jahr hatten wir fünf mal Überschwemmungen. Das Wetter spinnt. Und im Winter ist das noch gar nie passiert.»
Die Region setzt grosse Hoffnungen in den Entlastungsstollen, der 2025 fertig sein sollte. Er entsteht am anderen Ende des Sarnersees. Die Baustelle ist nicht zu übersehen. Monströs grosse Stahl-Spundmauern stauen das Wasser von der Baustelle weg. Dahinter entsteht ein gigantischer Betontrichter mit einem grossen Schlund am unteren Ende. Der Tunnel führt von dort sechs Kilometer weit ins Tal. Kosten des riesigen Bauwerks: 180 Millionen Franken.
Hochwasser kostet Millionen
«Die vielen Hochwasser und damit auch der Stollen kosten die Gemeinde Millionen», sagt Sachselns Gemeindepräsident Knut Hackbarth (57). Neben Bund und Kanton müssen auch die Gemeinden tief in die Tasche greifen. Als beim Bau auch noch ein Wassereinbruch passierte, mussten alle nochmals tüchtig nachzahlen. Aber der Gemeindehäuptling steht immer noch voll hinter der Massnahme: «Mit dem Stollen können wir so manche Überschwemmung verhindern. Die Investition ist gerechtfertigt.»
Ab 2025 ist also alles gut? Der Gemeindepräsident mahnt zu einer realistischen Betrachtung: «Es wird auch in Zukunft noch Hochwasser geben, vor allem wenn sie schnell auftreten. Aber die meisten können wir abfangen», sagt Knut Hackbarth.