Martin Vetterli, Präsident der Lausanner Hochschule EPFL, gewährte den Lesern des SonntagsBlick Magazins Einblicke in seine Gedankenwelt: «Viele von uns waren in einem Hamsterrad gefangen und sind gerannt und gerannt. Ich hoffe für uns als Gesellschaft, dass wir nicht einfach wieder ins Hamsterrad einsteigen und weiterrennen.»
In ganz Europa, ja der halben Welt war Rennen monatelang verboten. Unser aller Leben hatte einen Vollstopp hingelegt. Erst am Montag öffneten Läden, Restaurants und Fitnesscenter wieder – stockend kehrt die Normalität zurück. Und wir fragen uns: Was bleibt von den Erfahrungen des Lockdowns?
Vielleicht arbeiten jetzt viele Angestellte für immer im Homeoffice. Würden sie es auch nur zwei Tage pro Woche tun, wären bereits 40 Prozent der Büroflächen überflüssig, rechnete der Immobilienprofi Donato Scognamiglio im «Tages-Anzeiger» vor.
Vielleicht wird die Globalisierung in Teilen wieder rückgängig gemacht – durch Unternehmer wie Swatch-Chef Nick Hayek, der im BLICK sagt: «Ein richtiger Unternehmer investiert nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch in die Produktion, und beide sollten so nah wie möglich beieinander sein.»
Vielleicht wird die Auseinandersetzung zwischen den Grossmächten USA und China zum beherrschenden geopolitischen Thema des 21. Jahrhunderts. So sieht es das Magazin «Cicero» voraus.
Vielleicht fahren die Menschen in Zukunft Velo und Auto statt Zug und Bus, wie die Blätter von CH Media eine repräsentative Umfrage zitieren: Fast jeder Vierte kündigte darin an, den öffentlichen Verkehr auch nach dem Lockdown seltener zu benutzen.
Vielleicht werden wir künftig mehr auf Hygiene und Vorsorge achten. Dieser Hoffnung gab Nestlé-CEO Mark Schneider im SonntagsBlick-Interview Ausdruck.
Vielleicht haben wir demnächst alle einen Notvorrat im Keller und lachen nicht mehr über Ex-Armee-Chef André Blattmann, der dies schon vor Jahren vorschlug – und dafür einen Shitstorm erntete.
Vielleicht gewöhnen wir uns für immer an ein Leben ohne Handschlag, wie Max Küng in seiner Kolumne im «Magazin» vermutet.
Vielleicht wird unser Reiseverhalten nachhaltiger und umweltfreundlicher, weil wir die Schönheit des eigenen Landes neu entdecken, ländliche Gegenden den Städten vorziehen und entsprechend weniger fliegen. So prophezeit es zumindest der Touristik-Professor Harald Pechlaner.
Vielleicht stehen wir vor einem Digitalisierungsschub, weil jetzt jeder weiss, wie Videokonferenzen und E-Commerce funktionieren und «es kein Verständnis mehr dafür geben wird, wenn man viele Dinge nicht digital erledigen kann», so Peter Parycek, Mitglied des Digitalrats der deutschen Regierung.
Vielleicht gehört Homeschooling in Zukunft ganz selbstverständlich zu der Art und Weise, wie unsere Kinder unterrichtet werden, vermutet Franziska Peterhans, Zentralsekretärin des Lehrerdachverbandes, im BLICK.
Vielleicht wird die Häufigkeit von kontaktlosem Bezahlen nochmals deutlich steigen, meint Benjamin Manz, Geschäftsführer von Moneyland.
Vielleicht teilen wir unsere kostbare Lebenszeit nach den Erfahrungen der Krise intelligenter ein, verzichten auf unnötige Termine und pflegen stattdessen lieber unsere Freundschaften.
Vielleicht wird auch einfach unser gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Der prominente Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson in der «NZZ am Sonntag»: «Es gibt historische Ereignisse, die unsere bisherige Normalität zerstören. Dazu zähle ich diese Pandemie.»
Ja, dies alles ist möglich. Genauso möglich wäre aber auch, dass wir schon in wenigen Wochen feststellen: Das neue Leben ist genau so wie das alte. Dann sind wir alle wieder in unsere Hamsterräder zurückgekehrt.