«Würden Sie mit solchen Piloten gern ins Flugzeug steigen?»
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Swatch-Chef Nick Hayek:«Würden Sie mit solchen Piloten ins Flugzeug steigen?»

Swatch-Chef Nick Hayek stellt der Lockerungspolitik des Bundesrates miserable Noten aus
«Katastrophal!»

Nick Hayek (65), Chef der Swatch Group, lobt den Bundesrat für sein entschlossenes Handeln zu Beginn der Corona-Krise – und kritisiert ihn hart dafür, wie er das Land jetzt zurück in die Normalität führt. «Katastrophal» sei das.
Publiziert: 23.04.2020 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 17.03.2021 um 22:53 Uhr
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Nick Hayeks Worte haben Gewicht. Der Chef der Swatch Gruppe gibt selten Interviews – aber wenn, dann hat er etwas zu sagen.
Foto: Thomas Meier
Christian Dorer (Interview) und Thomas Meier (Fotos)

Nick Hayek (65) sieht seinem legendären Vater Nicolas G. Hayek (1928–2010) nicht nur äusserlich ähnlich. Der Chef der Swatch Gruppe ist auch ebenso pointiert in seinen Aussagen, ein Querdenker und Kämpfer für den Werkplatz Schweiz. Interviews gibt er selten – aber wenn, dann sitzen sie. Wir treffen uns am Hauptsitz in Biel BE, natürlich mit dem obligaten Abstand.

BLICK: Herr Hayek, warum machen Sie kein Homeoffice?
Nick Hayek:
Mein Büro ist auch mein Zuhause (lacht)! Der Chef sollte vor Ort präsent sein, unter Einhaltung der Sicherheitsvorschriften natürlich. Die Bundesräte fordern alle dazu auf, zu Hause zu arbeiten. Selber arbeiten sie jedoch im Bundeshaus ...

Wie hat sich Ihr Alltag verändert?
Normalerweise erhalte ich jede Nacht aus der ganzen Welt E-Mails mit den Verkaufszahlen der Läden vom Vortag. Wenn ich derzeit um sechs Uhr auf mein iPad schaue, sind da noch drei oder vier Mails statt 60 oder 70. Fast alle Läden sind geschlossen.

Ein deprimierender Start in den Tag!
Ich bin ein Morgenmensch und starte deshalb, egal was ist, immer gut gelaunt in den Tag. Und sowieso: Wir müssen langfristig denken. Die Zeit der starken Einschränkungen ist eng begrenzt, und China funktioniert ja schon wieder fast zu 100 Prozent.

Werden die Menschen so schnell wieder Uhren kaufen?
Ja sicher, aber dafür braucht es natürlich offene Läden. Schweizer Uhren sind emotionale, langfristige, werthaltige Produkte.

In der Krise kann der Mensch sehr gut ohne eine neue Uhr leben.
In der Krise ja, aber nach der Krise ist meine Erfahrung eine ganz andere: Die Leute kompensieren, da sie jetzt kein Geld ausgeben können. Sie wollen sich emotional etwas Gutes tun ­– und Uhren sind etwas Emotionales! Unsere Kinderuhr Flik Flak wird im Moment im E-Commerce so stark gekauft wie selten. Wahrscheinlich auch, weil es vielleicht der Moment ist, um Geschenke zu machen. Und, Sie werden es kaum glauben: In unseren eigenen Läden in China liegen die Verkaufszahlen im April, jetzt wo die Krise vorbei zu sein scheint, 24 Prozent über dem Wert von April 2019!

Sie sind ein unverbesserlicher Optimist!
Nein, ich bin ein realistischer Optimist. Kurzfristig haben wir sicher eine ausserordentlich negative Situation, aber ich orientiere mich langfristig. Die Swatch Gruppe ist sehr gut aufgestellt, keine Schulden, nicht abhängig von den Banken, oder noch schlimmer von der Börse, und wir produzieren fast alles selber hier in der Schweiz. Das macht uns auch unabhängiger von ausländischen Lieferanten. Dazu kommt, dass wir ein grosses Lager an Fertigprodukten und Rohmaterial haben.

In der globalisierten Welt gilt Arbeitsteilung und Just-in-time. Wieso nicht bei der Swatch Gruppe?
Dank der Strategie meines Vaters. Ein richtiger Unternehmer investiert nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch in die Produktion, und beide sollten so nah wie möglich beieinander sein. Für Schweizer Uhren natürlich in der Schweiz. Wir haben über 100 Produktionsstätten in der Schweiz, die jetzt mehrheitlich nicht voll arbeiten können. Das verursacht natürlich riesige Kosten, ist aber langfristig ein immenser strategischer Vorteil.

Die Wirtschaft rutscht in die Rezession. Wie lange wird die Durststrecke sein?
Wir haben eine temporäre Krise, aber das kommt schon wieder. Glauben Sie wirklich, dass sich der Mensch durch einen kurzfristigen Schock total verändert? Sicher nicht! Die Menschen werden wieder konsumieren. Vielleicht setzen sie kurzfristig andere Prioritäten, aber der Mensch bleibt lustgetrieben.

Nicht, wenn sie um ihren Job fürchten.
Kurzfristige Schocks gibt es immer. Wir sollten uns nicht wie Börsen-Spekulanten oder wie einige Journalisten verhalten, die heute himmelhoch jauchzend und morgen tief betrübt sind. Wir sollten langfristig denken. Und sicher nicht in Negativismus verfallen! Katastrophen wie Tsunamis, Erdbeben und auch Seuchen hat es immer wieder gegeben, und danach gab es trotzdem erneut einen Aufschwung.

Hat die Krise auch ihr Gutes?
Ja und nein. Sie sollte uns ein wenig demütig machen und uns über die richtigen Prioritäten bewusst werden lassen. In der Schweiz diskutieren wir zum Beispiel seit Jahren über neue Kampfjets für 4 oder 5 Milliarden Franken, aber niemand kümmerte sich um die Lagerhaltung von Masken und Medikamenten und deren Herstellung.

Wer hat versagt?
Das ist kein Versagen. Es ist menschlich, Fehler zu machen. Wichtig ist, dass man zu den Fehlern steht und sie korrigiert.

Wie beurteilen Sie die Arbeit des Bundesrats?
Am Anfang, als der Bundesrat den Notstand ausrief, hatte Alain Berset eine klare Botschaft, was jetzt zu tun ist. Die Schweizer folgten dieser Botschaft, weil sie klar und nachvollziehbar war, auch wenn es schmerzte. Eine Woche später kam Ueli Maurer ebenfalls mit einer klaren Botschaft, wie den Unternehmen in dieser Notsituation geholfen wird. Auch dies wirkte überzeugend und selbstbewusst.

Und jetzt, bei den Lockerungen?
Katastrophal. Bei der Pressekonferenz zu den Lockerungen spürte man vor allem Angst und Unsicherheit der teilnehmenden Bundesräte. Bundespräsidentin Sommaruga überbrachte als Kernbotschaft, nachdem sie uns alle wegen Ostern gelobt hatte, etwas völlig Irrelevantes: dass wir einen Monat lang gratis Schweizer Fernsehen sehen dürfen. Danach gab sie das Wort an Alain Berset weiter, der über die Lockerungsmassnahmen informierte. Bei all seinen Ausführungen war klar eine Verunsicherung und Angst vor der schrittweisen Öffnung spürbar. Was sich auch an den vielen widersprüchlichen Aussagen gezeigt hat. Hier hätte es eine Botschaft gebraucht, die Aufbruchstimmung auslöst.

Wie hätte denn die Botschaft lauten sollen?
Schickt eure Kinder in die Kitas und habt keine Angst, wir übernehmen die Kosten, egal, ob die Kantone oder der Bund zuständig sind. Damit werden die Eltern entlastet und können sich wieder in Ruhe auf den Neustart vorbereiten. Das wäre ein Aufbruchsignal, das die Bundespräsidentin hätte überbringen können. Und was die Lockerungen betrifft, hätte man alle Verbände dazu aufrufen sollen, mit klaren Vorschlägen und Konzepten für eine schnelle Öffnung zu sorgen, egal ob Coiffeur, Restaurant oder Detailhandel. Damit hätte der Bundesrat die Verbände und alle Beteiligten dazu motiviert, die Initiative zu ergreifen.

Sie wollen wie andere Unternehmer einfach Ihre Geschäfte schneller öffnen!
Alle wollen wieder so schnell wie möglich in eine gewisse Normalität zurückkehren, Sie auch, hoffe ich. Aber es geht mir nicht um den Zeitpunkt, sondern darum, dass dies nicht in einem Klima der Angst und Verunsicherung passieren soll.

Der Bundesrat hat ehrlich informiert, indem er sagte, dass er nicht weiss, wie sich die Infektionsrate entwickelt.
Ehrlichkeit und Authentizität sind wichtig. Ein Chef muss aber auch mutig sein und Verantwortung übernehmen. Der Bundesrat wollte sicher nicht Unsicherheit schüren, aber die Botschaft war und ist anders herübergekommen.

Warum handelte der Bundesrat klarer beim Lockdown als jetzt bei der Öffnung?
Beim Lockdown ging es um eine Reaktion auf eine Notsituation. Bei der Lockerung hingegen muss der Bundesrat nicht reagieren, sondern agieren. Er muss mutig und selbstbewusst führen und vor allem pragmatisch vorgehen. Das schafft Vertrauen und kreiert die Aufbruchstimmung, die wir jetzt brauchen.

Welches Land macht das am besten?
Ich schaue keine Pressekonferenzen der Regierungen anderer Länder. Ich glaube aber, dass es anderen Ländern besser gelungen ist, Aufbruchstimmung zu schaffen.

Im Moment sind alle unzufrieden, jeder Verband stellt Forderungen. Was muss passieren, damit die Lockerungen wieder in geordnete Bahnen kommen?
Klare Führung, und wenn es die Situation erlaubt, auch über seinen Schatten springen und frühere Entscheidungen neu beurteilen.

Der Bundesrat handelt deshalb vorsichtig, damit sich das Virus nicht plötzlich wieder schneller verbreitet.
Nicht nur der Bundesrat, wir alle handeln vorsichtig. Wir schütteln uns die Hände nicht mehr, halten Abstand, knutschen nicht mehr herum, aber es gibt einen Unterschied zwischen vorsichtig sein und unsicher oder ängstlich.

Wie sorgen Sie in Ihrem Unternehmen für Aufbruchstimmung?
Meine Schwester und ich haben bei Ausbruch der Krise sofort allen unseren Mitarbeitenden weltweit eine Videobotschaft geschickt: Wir sorgen für euch – schaut ihr bitte, dass ihr gesund bleibt, und folgt den Regeln der Regierungen. Wir sind alle in einer schwierigen Situation, aber eure Unternehmung, die Swatch Gruppe, ist stark. Wir haben Liquidität, wir sind unabhängig, wir haben keine Schulden bei den Banken, wir haben super Produkte.

Warum konnten Sie bereits am Anfang der Krise sagen, dass niemand entlassen würde?
Weil das schon immer die Kultur der Swatch Gruppe war und ist. Wegen kurzfristigen Krisen werden wir keine Leute entlassen, nur weil das vielleicht der Börse gefallen würde.

Was haben Sie eigentlich gegen die Börse?
Die Börse ist ein Casino. Oft reine Spekulation. Dort ist gar nichts langfristig. Man will mit Geld Geld machen, und das ist nicht das Ziel eines Industriellen. Ein Unternehmer will neue Produkte und Arbeitsplätze schaffen. Gewinn allein ist nicht die Motivation.

Ihnen ist es auch wichtig, nicht verschuldet zu sein. Warum trauen Sie den Banken nicht?
Es ist nicht so, dass ich den Banken nicht traue. Aber unabhängig Entscheidungen zu treffen, ohne bei Banken zuerst anklopfen zu müssen, ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil. Im Zweifelsfall geben wir lieber etwas weniger aus, als Schulden zu machen. Diese Philosophie hatte bereits mein Vater. Ein Sprichwort besagt, dass eine Bank Ihnen problemlos Geld gibt, wenn Sie es nicht brauchen. Aber wenn Sie es brauchen, erhalten Sie nichts.

Vom Regisseur zum Konzernlenker

Nick Hayek (65) ist seit 2003 CEO der Swatch Group (u.a. Tissot, Omega, Longines) mit Sitz in Biel BE. 2019 beschäftigte das Unternehmen mehr als 36'000 Angestellte in über 50 Ländern und machte einen Umsatz von 8,2 Milliarden Franken. Seine Schwester Nayla Hayek (69) ist seit dem Tod des Vaters und Firmengründers Nicolas G. Hayek (1928–2010) Präsidentin des Verwaltungsrates der Swatch Group. Nick Hayek studierte an der Universität St. Gallen. In Paris absolvierte er eine Filmschule, war Produzent und Regisseur von zwei Spielfilmen. Er ist verheiratet und wohnt in Zug.

Nick Hayek (65) ist seit 2003 CEO der Swatch Group (u.a. Tissot, Omega, Longines) mit Sitz in Biel BE. 2019 beschäftigte das Unternehmen mehr als 36'000 Angestellte in über 50 Ländern und machte einen Umsatz von 8,2 Milliarden Franken. Seine Schwester Nayla Hayek (69) ist seit dem Tod des Vaters und Firmengründers Nicolas G. Hayek (1928–2010) Präsidentin des Verwaltungsrates der Swatch Group. Nick Hayek studierte an der Universität St. Gallen. In Paris absolvierte er eine Filmschule, war Produzent und Regisseur von zwei Spielfilmen. Er ist verheiratet und wohnt in Zug.

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