Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Wieso Queen und Co. bis heute faszinieren

Adel verpflichtet heute kaum mehr, aber abgelichtet wird er noch immer: Dieses Buch belegt, wie sich «Durchlauchte» und «Hochwohlgeborene» vom Mittelalter bis heute halten konnten.
Publiziert: 18.05.2021 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2021 um 13:54 Uhr
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Der König ist tot! Es lebe der König! Als die britischen Royals vor einem Monat coronabedingt im kleinen Familienkreis Queen Elizabeths (95) Prinz-Gemahl Philip (†99) zu Grabe trugen, war das mediale Interesse auch hierzulande gross: Fast 200’000 Menschen verfolgten die Trauerfeier auf SRF 1 vor dem Fernseher, was einem Marktanteil von über 33 Prozent entsprach. Zum Vergleich: Die später folgende Samstagabendkiste «Verstehen Sie Spass?» erreichte bloss 26,4 Prozent Marktanteil.

Adelsserien wie «The Crown», «Versailles» oder «Downton Abbey» erfreuen sich ebenfalls hoher Einschaltquoten – und das, obwohl die Schweiz nie einen König hatte. In anderen europäischen Staaten, etwa Deutschland und Österreich, ging das Feudalregime nach dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Und «nach 1945 war endgültig Schluss mit dem System aus Gnade, Gunst und Gewalt von oben», schreiben Bettina Musall (64) und Eva-Maria Schnurr (47) im Vorwort des kürzlich erschienenen Buchs «Die Welt des Adels».

«Dafür, dass es den Adel eigentlich nicht mehr gibt, hat er sich gut gehalten», bilanzieren die beiden «Spiegel»-Redaktorinnen und geben eine vergnügliche und vielseitige Lektüre zu «Europas Herrscherhäusern vom Mittelalter bis heute» heraus. In Interviews, Porträts und Reportagen berichten mehrere Fachleute, wie der Adel im 8. Jahrhundert aus der Agrargesellschaft hervorging, indem sich ein paar Wehrhafte als Beschützer der Bauern hervortaten, wie sich «Hochwohlgeborene» kleideten, wie sie schrieben, mit welcher Begründung sie Juden ausschlossen und wie der deutsche Adel mit den Nazis unterging.

Der Fokus liegt auf Deutschland, weil sich das Buch auf Mitarbeiter und Material des Hamburger Nachrichtenmagazins «Spiegel» stützt. Doch das Kapitel über die Habsburger mit ihrem Stammsitz im Aargau rückt die Schweiz ins Scheinwerferlicht: Noch vor der Gründung der Eidgenossenschaft zieht Rudolf von Habsburg (1218–1291) mit Hilfe der Liechtensteiner 1278 los, schlägt dem böhmischen König Ottokar II. (1232–1278) den Schädel ein und erbt Österreich von seinem Widersacher – ein Königreich ist geboren.

Dieser Fall zeigt: Adlige Ritter, die selbsterklärten Beschützer der Bauern, missbrauchten ihre Funktion zunehmend, um gegen andere Adelige zu kämpfen. Wozu brauchte es da Ritter? «Es entstanden alternative Eliten, und die Kriegsführung änderte sich», sagt der Mittelalterhistoriker Werner Hechberger (58) in einem Interview, «es gab Feuerwaffen, Landsknechtheere, neue Kampfweisen, der Ritter wurde überflüssig.» Aber: «Der Adel ist ausgesprochen anpassungsfähig», so Hechberger.

Ein Beispiel für die Anpassungsfähigkeit: Inspiriert von Daniel Defoes (1660–1731) Abenteuergeschichte «Robinson Crusoe» (1719), leisteten sich englische Adlige im 18. Jahrhundert «edle Wilde», sogenannte Schmuckeremiten («ornamental hermits») zur Zierde ihrer weitläufigen Parkanlagen. Damit konnte man Besucher beim Gang zur Eremitage beeindrucken. Doch mit der Abschaffung der Sklaverei galt die Anstellung eines Schmuckeremiten zunehmend als anrüchig – seither hielten steinerne Statuen in den englischen Gärten Einzug.

Bettina Musall / Eva-Maria Schnurr (Hg.), «Die Welt des Adels – Europas Herrscherhäuser vom Mittelalter bis heute», DVA

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