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Wie Kaffee dem Kapitalismus zum Durchbruch verhalf

«C-A-F-F-E-E, trink nicht so viel Caffee!» So geht ein altes Kinderlied. Erachteten manche die psychoaktive Wirkung des heissen Getränks als Gefahr, so wusste der Kapitalismus den Wachmacher für seine Zwecke zu nutzen.
Publiziert: 26.04.2022 um 09:31 Uhr
Subversiv oder staatstragend? Die Einschätzung des Kaffees änderte sich immer wieder.
Foto: Shutterstock

Die einen schlafen am Sonntagmorgen ihren Rausch aus, die anderen sind schon auf und zünden sich ihre erste Zigarette an, und die dritten giessen einen Tee oder Kaffee auf, um wach zu werden – der Süchte sind viele und ihre Folgen mannigfaltig. «Moment mal!», höre ich Sie sagen, «Tee und Kaffee sind keine Drogen.» Zumindest sind sie aus heutiger Sicht keine illegalen Drogen, aber frühere Gesellschaften sahen das anders. Denn Teestrauch und Kaffeebaum sind auch psychoaktive Pflanzen.

«Eine illegale Droge ist etwas, das die Regierung dazu erklärt», schreibt der Berkeley-Professor Michael Pollan (67) in seiner kürzlich erschienenen «Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen». Aber es sei kein Zufall, dass davon fast ausschliesslich Stoffe betroffen seien, die das menschliche Bewusstsein verändern können. Pollan: «Oder vielleicht sollte ich eher sagen, die das menschliche Bewusstsein derart verändern können, dass es den reibungslosen gesellschaftlichen Abläufen und den Interessen der Mächtigen zuwiderläuft.»

So verbieten Behörden arabischer und europäischer Länder zu unterschiedlichen Zeiten den schwarzen Trank, weil sie die Ansammlung Kaffee trinkender Menschen als politisch bedrohlich erachten. Durch das Koffein sind sie jedenfalls aufgeweckter als die benebelten Schnapsleichen. «Vor der Ankunft von Kaffee und Tee wurde in Europa morgens, mittags und abends Alkohol konsumiert», so Pollan, «nicht nur in Schenken nach Einbruch der Dunkelheit, sondern auch beim Frühstück zu Hause oder sogar am Arbeitsplatz.»

Mit Kaffee kann der Kapitalismus auf wache Mitarbeiter zählen und weiss sich das ab dem 17. Jahrhundert zunutze zu machen, indem er Nachtschichten einführt: Mit reichlich Koffein im Blut sind sie bestens zu bewerkstelligen. Zudem ist der Zucker im Kaffee eine wichtige Kalorienquelle und verdrängt mindestens für einen Moment das Hungergefühl der Arbeiter. «Es ist bestimmt nicht bloss Zufall, dass Koffein und der Minutenzeiger an Uhren im selben historischen Moment erschienen», beschreibt Pollan eine weitere Folge.

Während Kaffee schwierig herzustellen ist, sich aber leicht trinken lässt, ist der Anbau von Mohn einfach, dessen Wirkung aber schwerwiegend: Dieser Pflanze widmet Pollan, der mit «How to Change Your Mind» 2018 ein Standardwerk zur Psychedelik-Forschung herausgab, ein weiteres Kapitel. «So willkürlich der Drogenkrieg auch sein mag, der Kampf gegen den Mohn ist seine bizarrste Front», schreibt er dort: Genau die gleiche chemischen Substanz werde in anderen Händen – zum Beispiel eines Pharmaunternehmers oder Arztes – als Segen für die Menschheit betrachtet.

Michael Pollan, «Kaffee Mohn Kaktus – eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen», Kunstmann

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