Dies ist meine letzte Sachbuch-Kolumne: Nach genau 220 «Zur Sache!» mit gegen 250 besprochenen Büchern – in mancher Folge kam mehr als ein Titel zur Sprache – geht die wöchentliche Rubrik nach gut vier Jahren zu Ende. Als Schlusspunkt erlaube ich mir, ein Buch zu nehmen, in dem ich namentlich verdankt bin: Es ist von meinem Doktorvater, dem emeritierten Germanistik-Professor Ulrich Stadler (84) – vor mehr als 30 Jahren war ich kurzzeitig sein Assistent an der Universität Zürich und suchte für ihn tierische Texte.
Aus dem animalischen Alphabet für eine seiner Vorlesungen Anfang der 1990er- Jahre hat Stadler das kleinste Tier herausgepickt und veröffentlicht jetzt eine stattliche «Kulturgeschichte des Flohs», denn das Kleine könne wachsen, so der Literaturwissenschaftler: «Das Kleine kann Grosses bewirken oder zur Entstehung von Grossem beitragen.» Der Floh habe von jeher eine Sonderstellung eingenommen: «Sein Verhältnis zu den Menschen war intensiver und intimer als das der Katze und des Hundes.»
Wie Katz und Hund gehört der Floh zu unseren Haustieren und hat keinen schlechten Ruf: «Wenn von ‹Flohwalzer› oder von einem kindlichen Flohspiel gesprochen wird, bei dem Chips geknipst und zum Springen gebracht werden, dann verbindet sich mit solchen Bemerkungen jedenfalls kaum etwas Abfälliges», so Stadler. Und wenn der Fussballer Lionel Messi (36) liebevoll «La Pulga» geheissen wird und der Bassist Michael Balzary (61) von der US-Band Red Hot Chili Peppers den Künstlernamen «Flea» trägt, ist das gar ein Lob.
Nur etwas hat der Floh nicht geschafft: «Wenn in Reden oder auf Wappen und Flaggen ein Bedeutungsträger gesucht wurde, dann musste es zumeist ein grosses, starkes oder schönes Tier sein wie der Adler oder der Löwe», schreibt Stadler. «Ein Insekt schien nicht so recht geeignet.» Obwohl er später den Erzählforscher Rudolf Schenda (1930–2000) zitiert. Der weist in seinem «ABC der Tiere» (1995) darauf hin, dass der Floh das stärkste Tier sei – es könne 80-mal mehr ziehen, als es selber schwer sei.
Der Floh ist aber nicht bloss das stärkste Tier, es ist auch das gefährlichste: Als Zwischenträger von Bakterien der Ratten war er für die Beulenpestepidemien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verantwortlich. Und wenn er später nicht mehr den Schwarzen Tod brachte, so war er doch lästig: «Er bewirkt durch seine Stiche eine Reizung unserer Haut», schreibt Stadler, «und er frustriert uns dadurch, dass wir ihm gegenüber machtlos erscheinen und er sich durch seine rasche Flucht entzieht.»
«Der ewige Verschwinder» belästigte auch Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) auf seiner Schweizer Reise. So notierte er am 10. November 1779 zu einer Nacht in Leukerbad VS: «Ich lag kaum im Bette, so kam mir vor als wenn ich über und über mit einer Nesselsucht befallen wäre; doch merkte ich bald, dass es ein grosses Heer hüpfender Insekten war, die den neuen Ankömmling blutrünstig überfielen.» Der Floh verschont auch nicht den Dichterfürsten.
«Der ewige Verschwinder – eine Kulturgeschichte des Flohs», Schwabe
«Der ewige Verschwinder – eine Kulturgeschichte des Flohs», Schwabe