Im Supermarkt, Kühlfach, Geschirrschrank, Kleiderkasten oder Bücherregal: Überall braucht es Ordnung, damit wir schnell finden, was wir suchen. Der Kriterien sind viele: Man kann nach Grösse, Farbe, Material, Zahl oder Buchstaben einteilen. So habe ich etwa Sachbücher nach Themen und Romane nach Erscheinungsdatum geordnet. Und wenn ich ein Buch aufschlage, dann sind die Seiten fortlaufend nummeriert, und Sachbücher haben hinten ein alphabetisches Register zum schnellen Auffinden einer Stelle.
Das war nicht immer so, wie der britische Wissenschaftsautor Dennis Duncan (47) in seinem kürzlich erschienenen Buch eindrücklich erläutert. So haben die ersten gedruckten Bücher – wie etwa die Gutenberg-Bibel von 1452 – keine Seitenzahlen, und bis ins Mittelalter ist die alphabetische Ordnung verpönt. Die Menschen sind der Ansicht, dass Gott ein harmonisches Universum geschaffen habe und Gelehrte diese Ordnung durchschauen müssten. Wer nun auf das Alphabet zurückgreife, entziehe sich dieser Aufgabe.
«Die Geschichte des Registers ist voll von solchen Befürchtungen», schreibt Duncan, und er zählt einige auf: «Dass Extraktlesen die längerfristige Beschäftigung mit Büchern ablösen wird, dass wir neue Fragen stellen und neue Formen des Forschens praktizieren und die alte Form des gründlichen Lesens vergessen werden, dass wir beklagenswert und unheilbar unaufmerksam werden.» Das klingt, als wäre es eine heutige Klage. Es waren aber schon damals haltlose Ängste: «Das Register hat überdauert und mit ihm Leser, Wissenschaftler, Erfinder.»
Ende des 15. Jahrhunderts sind erst zehn Prozent der gedruckten Bücher mit Seitenzahlen versehen, was einer Indexierung abträglich ist – denn, so Duncan: «Ein Register ist ein Instrument zweier Ordnungssysteme, einer Umrechnungstabelle zwischen der alphabetischen Reihenfolge seiner Einträge und der Abfolge der Seiten.» Mit der gedruckten Seitenzahl werden Register gebräuchlicher und raffinierter. «Das ging so weit, dass Mitte des 16. Jahrhunderts Spitzenregister wie die von Theodor Zwinger in Basel oder Conrad Gessner in Zürich ein Mass an Detailliertheit erreichten, das bis heute unübertroffen ist», schreibt Duncan.
Im gegenwärtigen Google-Zeitalter hat Suchen und Finden eine neue Dimension erreicht – das weiss Duncan als Dozent für Englisch am University College in London. Sagte er früher zu den Studentinnen und Studenten: «Schlagen Sie bitte Seite 128 von ‹Mrs. Dalloway› auf», fragten alle, welche Seite das in ihrer Ausgabe sei. Heute lautete die Frage: «Wie fängt der Abschnitt an?» Dann können die auf ihrem digitalen Gerät die Stelle mit Stichwörtern suchen.
Diese Lesewerkzeuge haben gemäss Duncan nur ein Ziel: «Sie alle dienen dazu, den Lesefluss zu verbessern, eine neue Effizienz in die Art und Weise einzubringen, wie wir Bücher benutzen.» Denn die Menschen lesen nicht weniger, aber ihr Bedürfnis nach Schnelligkeit der Lektüre hat seit dem Klosterzeitalter merklich zugenommen – es gibt ja auch immer mehr Lesestoff.
Dennis Duncan, «Index, eine Geschichte des – Vom Suchen und Finden», Kunstmann