Was auf Hochdeutsch schlicht Schaukel heisst, hat im Dialekt so facettenreiche Begriffe wie Gireizi, Rytiplampi oder Riitseili. Letzteres ist derart anschaulich, dass klar wird, worauf man schaukelt: nicht auf Wellen oder einem Stuhl, sondern einem Brett, das an zwei Seilen oben befestigt ist. Und nun erinnern wir uns alle an Spielplätze in der Kindheit, die ersten hilflosen Versuche, in Schwung zu kommen, und schliesslich den flehenden Ruf: «Mami, agäh!»
«Auch Schaukeln will gelernt sein, es klappt nicht unbedingt auf Anhieb», schreibt der deutsche Philosoph Wilhelm Schmid (70) in seinem vergnüglichen Büchlein zum Thema, das kürzlich erschienen ist. «Erst mal nur halb aufs Brett, kleiner Anlauf rückwärts, dann ganz rauf und Beine hoch, Oberkörper nach hinten, Steigflug vorwärts, mit dem Hintern nachdrücken, Oberkörper aufrichten, Sinkflug rückwärts (…) und so weiter.» Wer es einmal kann, der schafft es, ohne nachzudenken.
Aber was bringt einen gestandenen Mann dazu, sich mit diesem schwebenden Kinderspielgerät zu beschäftigen? Für Schmid ist die Schaukel ein Sinnbild für das Leben – mit Schwungholen, Höhenflug, Abschwung, Durchhänger und Absprung. Er kennt alle Aspekte, schrieb er diesen Essay über «die kleine Kunst der Lebensfreude» doch ausgerechnet in der traurigen Zeit, als seine Frau an Krebs starb.
«Die harte Konfrontation damit, dass das Leben eine zeitliche Grenze hat, ist kein Argument gegen die Lebensfreude», schreibt Schmid, «eher eines für sie, denn es ist diese Grenze, die das Leben wertvoll macht.» Der gebürtige Bayer lebt seit Jahrzehnten in Berlin und war um die Jahrtausendwende philosophischer Seelsorger am Spital in Affoltern am Albis ZH. Mit seinen Büchern zur Lebenskunstphilosophie erreicht er ein Millionenpublikum.
Das Leben ist ein ständiges Auf und Ab. «Schaukeln mag wie Sex sein», schreibt er, «aber wie die schönste Verausgabung mündet auch diese hier in eine Erschöpfung.» Der emeritierte Professor zeigt sehr schön auf, dass es keine Ekstase ohne Askese gibt. Schmid: «Das hat mit Verzicht, der oft mit Askese assoziiert wird, wenig zu tun.» Denn Askese gehe auf das griechische Wort «askesis» zurück, was «Übung» heisst.
Wobei wir wieder auf dem Spielplatz wären, wo das Kind üben muss, selber in Schwung zu kommen. «Die Methode, mit stetigem Üben das Können zu steigern, ist auf das Geniessenkönnen als Grundelement der Lebensfreude anwendbar», schreibt Schmid. Wer sich etwa haarklein dafür interessiere, wie der Kaffee von der Staude in die Tasse gelange, habe mehr vom Gebräu. Sinn für Nuancen verfeinere den Genuss.
Geht das auch ohne Schaukelbrett? «Ja, jede Abwechslung im alltäglichen Einerlei ist eine Schaukelbewegung», so Schmid. Jede Gelegenheit zur Entfaltung der Sinnlichkeit, jedes Draussensein, jedes Gefühl, endlich obenauf zu sein, jeder geistige Höhenflug sei in der Lage zu begeistern. Schmid: «Ist keine reale Schaukel zur Hand, lasse ich wenigstens meine Lesebrille schaukeln.»
«Schaukeln – die kleine Kunst der Lebensfreude», Insel.
«Schaukeln – die kleine Kunst der Lebensfreude», Insel.