Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
«Sammeln ist Selbstdokumentation mit Fremdmaterial»

«Ich sammle nicht», sagte eine Frau zu Valentin Groebner, bei der sich allerlei Dinge stapelten, «ich kann mich nur nicht trennen.» Groebner schrieb dazu ein hinreissendes Buch über Sammelwut und Trennschmerz.
Publiziert: 09.04.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2023 um 13:59 Uhr
Muss das alles mit? Wer schon Bücher zügelte, weiss, welche Last das ist.
Foto: PIUS KOLLER
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Ob im Keller oder auf dem Teller – Verzicht war das Motto der letzten Wochen: Die einen stiegen ins Untergeschoss und sonderten aus, was zum Zügeltermin vom 1. April nicht unbedingt in den neuen Wohnort musste; die anderen hielten sich bis heute Ostersonntag an die christliche Fastenzeit und assen beziehungsweise tranken weniger. Entrümpeln und Entsagen, beides hat eine befreiende Wirkung. Und doch fällt uns das eine wie das andere schwer, denn wir Menschen sind Jäger und Sammler.

In seinem neuen Buch widmet sich der österreichische Historiker Valentin Groebner (60) diesem komplexen Themenfeld und wählt dafür den hintersinnigen Titel «Aufheben, Wegwerfen. Vom Umgang mit schönen Dingen». Denn im unscheinbaren deutschen Wort «aufheben» steckt sowohl das Beseitigen wie das Aufbewahren, das Wegwerfen wie das Sammeln. Im launig geschriebenen Essay schildert Groebner das Dilemma, in dem er auch immer wieder selber steckt.

«Mein Untersuchungsfeld ist also der eigene private Alltag», schreibt der in Luzern lehrende Professor für Allgemeine und Schweizer Geschichte des Mittelalters und der Renaissance. Ihm geht es um jene unnützen schönen Dinge, die Privatleute erwerben und in ihren Wohnungen aufbewahren. Was geschieht mit den Gegenständen? Was machen sie mit den Menschen? Und wie kann diese Beziehung aufhören? «Denn», so Groebner, «irgendwann ist die eigene Wohnung ja voll – und Keller und Dachstock sind es auch.»

Viele Dinge auf wenig Raum verstauen – das ist im Fernen Osten Alltag. Und die Japanerin Marie Kondo (38) räumt ab mit Aufräumregeln im Internet. Ihr Landsmann Fumio Sasaki (44) sagt gleich «Goodbye, things» und verkündet: «We can do anything on our smartphone.» Da schüttelt Groebner nur mitleidig den Kopf und schreibt: «Der arme Fumio Sasaki tut so, als ob er keinen Körper hätte.» Auf dem Smartphone könne man weder schlafen noch essen, sich lieben oder bewegen.

«Minimalistische Reduktion ist so verlockend, weil sie wie eine Fastenkur oder ein Verzicht aufs Internet selbstverständlich nie endgültig ist», schreibt Groebner. Man könne von dort jederzeit zurückkehren in die Welt der überflüssigen Dinge, aber gereinigt und geschmückt mit dem Glamour der eigenen Askese. «Leere ist unmöglich – sie kann nur an begrenzten Orten und für begrenzte Zeiträume hergestellt werden.»

Groebner hat längst aufgegeben, sich gegen Dinge zu wehren, und hat erkannt: «Sammeln ist die Selbstdokumentation mit Fremdmaterial.» Er sieht in einer Sammlung nicht nur eine Besserungsanstalt für denjenigen, der sie anlegt und sich durch sie in eine ästhetischere Person verwandelt, sondern auch eine innere Burg, eine Festung. Groebner: «In ihr geht es um Pflichten, die Pflichten gegenüber den schönen Dingen.» Und diese Aufgabe nimmt der Verfasser von «Ökonomie ohne Haus» gerne auf sich.

zVg
Valentin Groebner

Valentin Groebner, «Aufheben, Wegwerfen. Vom Umgang mit schönen Dingen», Konstanz University Press.

zVg

Valentin Groebner, «Aufheben, Wegwerfen. Vom Umgang mit schönen Dingen», Konstanz University Press.

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