Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Feinde verabscheuen sich lieber in Frieden

«Reden, reden, reden ist besser als Krieg», sagte einst der Brite Winston Churchill (1874–1965). Der Kanadier Christopher Blattman nimmt sich das zu Herzen und schreibt über Wege zum Frieden.
Publiziert: 28.03.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.03.2023 um 15:09 Uhr
Ukrainische Soldaten am 8. März 2023 an der Front in Bachmut.
Foto: AFP
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Unfälle, Verbrechen und Kriege: Wir Journalistinnen und Journalisten sind häufig mit der Frage konfrontiert, weshalb wir bloss über Negatives berichten. Nun, wir vermelden das Aussergewöhnliche – dass sich in Brig kein Auto-Zusammenstoss, in Chur kein Mord ereignet hat und in Basel keine Todesopfer durch Luftangriffe zu beklagen sind, ist nicht erwähnenswert, da das aktuell Gott sei Dank der Normalzustand ist. Zudem würde die Leserschaft an solchen Nicht-Meldung sehr schnell das Interesse verlieren.

«Wir schreiben regalmeterweise Bücher über grosse Kriege und übersehen den eher unscheinbaren Frieden überall», schreibt der kanadische Wirtschafts- und Politikwissenschaftler Christopher Blattman (48) in seinem eben auf Deutsch erschienenen Buch. «Die blutigen Spektakel, die schockierendsten Ereignisse fesseln unsere ganze Aufmerksamkeit.» Die Momente der Ruhe, geraten – wenn sie überhaupt registriert werden – schnell in Vergessenheit.

Wahrnehmungsverzerrung nennt das der kanadische Professor der University of Chicago und zeigt am Beispiel von Afrika, dass Kriege die Ausnahme und nicht die Regel sind: Dort kommt es pro Jahr zu einem grösseren Fall ethnischer Gewalt, während zweitausend potenzielle friedlich verlaufen. Da diese eine, blutige Konfrontation aber Schlagzeilen macht, entsteht der Eindruck, in Afrika seien «Säuberungen» endemisch. Doch so Blattman: «Feinde ziehen es vor, sich in Frieden zu verabscheuen.»

Das habe einen simplen Grund: «Krieg ist ruinös.» Breche er dennoch aus, müsse irgendetwas die normalen Anreize für die Kompromissfindung gestört haben. Blattman nennt fünf Ursachen von Krieg: unkontrolliertes Interesse («Land, Beutegut oder schlicht Machterhalt»), immaterielle Anreize («Manchen Herrschern geht es nur um Ruhm»), Ungewissheit (Blattman nennt das Waffenprogramm von Saddam Hussein), Selbstbindungsprobleme («ein Kind der Anarchie») und Wahrnehmungsfehler (z. B. Selbstüberschätzung).

«Wenn Sie die fünf Mechanismen im Kopf behalten, können Sie besser vorhersagen, wann es zu einem Krieg kommt», schreibt der Wissenschaftler. Dabei solle man grundsätzlich davon ausgehen, dass es beim Frieden bleibe. Sollten sich Feinde davon entfernen, zeigt Blattman im zweiten Teil des Buchs Wege zurück zum Frieden auf: Wirtschaftliche Verbundenheit, gesellschaftliche Vernetzung, Machtteilung und Machtkontrolle sowie Regeln und ihre Durchsetzung sind die Pflastersteine dieser Wege.

Kaum jemand schreibe Bücher über die unzähligen Konflikte, die abgewendet wurden, so Blattman. «Doch genau wie angehende Ärzte über ihre Untersuchung von unheilbar Kranken nicht die Tatsache vergessen sollten, dass die meisten Menschen bei bester Gesundheit sind», schreibt der Gewalt- und Verbrechensforscher weiter, «sollten wir uns nicht nur mit den Konflikten befassen, in denen es heiss hergeht.» Eine Weisheit notabene, die er im englischen Original noch vor dem Ukraine-Krieg verfasst hat.

zVg
Christopher Blattman

Christopher Blattman: «Warum wir Kriege führen – und wie wir sie beenden können», C. H. Links

zVg

Christopher Blattman: «Warum wir Kriege führen – und wie wir sie beenden können», C. H. Links

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