Letztes Jahr sorgten die Schweizer Geschwister Akanji nur wenige Tage nacheinander für unterschiedliche Blick-Schlagzeilen: «Traum-Wechsel und Papa-Glück», stand am 1. September über den Fussballer Manuel Akanji (27) und seinen bevorstehenden Wechsel zu Manchester City. Und über seine ältere, ebenfalls Fussball spielende Schwester (29) war zwei Wochen später zu lesen: «Wegen rassistischen Angriffen: Sarah Akanji zieht sich aus Politik zurück». Die SP-Kantonsrätin trat nicht mehr zu den Zürcher Wahlen an.
«Vor allem junge Abgeordnete und solche mit Migrationsbiografie sind in den sozialen Medien massiven sexualisierten Angriffen, Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt», schreibt die deutsche «Zeit»- und «Spiegel»-Journalistin Susanne Kaiser (42) in ihrem eben erschienenen Buch. Darin beschäftigt sich die ausgewiesene Spezialistin für Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern mit der «neuen Gewalt gegen Frauen», wie sie auch Sarah Akanji erfahren hat.
«Feministisches Paradox» nennt Kaiser die aktuelle Entwicklung, denn mit den Fortschritten auf Frauenseite wächst gleichzeitig die Gewalt der Männer. «Frauen sind dank der neuen Medien sichtbar geworden, sie konnten politische Forderungen durchsetzen und ihre Geschichten der Unterdrückung erzählen», schreibt Kaiser. «Gleichzeitig trifft sie der Hass genau dort: in der Sichtbarkeit als Frau, als genderspezifische Gewalt.» Damit stehe die Gesellschaft vor einem Dilemma.
Susanne Kaiser, «Backlash – die neue Gewalt gegen Frauen», Tropen
Susanne Kaiser, «Backlash – die neue Gewalt gegen Frauen», Tropen
Der heutige Backlash sei nicht ein Pendelausschlag in die eine Richtung, auf den später eine Gegenbewegung folge, sondern eine Schere, die sich immer weiter öffne: da Frauen, die immer mehr erreichen, dort Männer, die sich von ihnen bedroht fühlen. «Feministischer Fortschritt geht mit männlicher Gewalt einher, sie wachsen gemeinsam», so Kaiser. Diese neue Gewalt führe dazu, dass sich Frauen aus der Öffentlichkeit zurückziehen, ihre Karriere abbrechen oder sich aus dem sozialen Umfeld isolieren.
«Der Backlash trifft Frauen, weil sie Frauen sind – je sichtbarer und erfolgreicher, umso mehr», schreibt Kaiser. Sie belegt ihre These mit zahlreichen, erschreckenden Beispielen aus allen Schichten der Gesellschaft – von Stalking über Partnerschaftsgewalt und sexuellem Übergriff bis hin zum Femizid. Und sie beschreibt, wie Ex-US-Präsident Donald Trump (76) Frauenhass salonfähig machte und die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (68) weibliche Attribute für den Machterhalt ablegte.
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Eine Strategie, der Kaiser durchaus etwas abgewinnen kann. «Meiner Einschätzung nach müssen wir uns gut überlegen, wo wir Unterschiede betonen und wo nicht», schreibt Kaiser. «Feministische Identitätspolitik sollte nur wohldosiert eingesetzt werden.» Und sie plädiert in diesem Zusammenhang für mehr Diversität. «Je mehr Kategorien es gibt, desto mehr löst sich dadurch die althergebrachte Norm auf», so Kaiser. «Männlichkeit ist dann nur noch eine Möglichkeit unter vielen.» Überlegen sei sie nur in einem binären System.