Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Der Iran machte ein Opfer zur Täterin und erhängte sie

2017 hat das Mullah-Regime mindestens 507 Menschen hingerichtet, darunter Reyhaneh Jabbari – Weltrekord nach China. Wie man angesichts solcher Zahlen neutral sein kann, bleibt schwer verständlich.
Publiziert: 14.02.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2023 um 13:24 Uhr
Reyhaneh Jabbari sass sieben Jahre in iranischen Gefängnissen, bis sie die Mullah-Schergen 2014 hängten.
Foto: AP
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Seit nunmehr drei Jahren lesen Sie in dieser Rubrik wöchentlich von mindestens einem neuen Sachbuch, das ich für Sie ausgelesen habe. Die Themenpalette reichte von Wirtschaft bis Kulinarik, von Kunst bis Natur, von Naturwissenschaften bis Religion, von Psychologie bis Politik. Die Bücher waren anschaulich, anregend oder lehrreich, aber stets sachlich. Doch noch nie hatte ich ein derart emotionales Sachbuch in Händen, das mich während der Lektüre zu Tränen rührte.

«Wie man ein Schmetterling wird» ist seit zwei Wochen erhältlich und ist die wahre Lebensgeschichte der Iranerin Reyhaneh Jabbari (1987–2014), erzählt von ihrer Mutter, der Schauspielerin Shole Pakravan (58). Der Fall Jabbari sorgte 2014 für internationale Proteste, weil sie 2007 bei einer versuchten Vergewaltigung ihren Peiniger in Notwehr erstach und darauf wegen Mordes selber zum Tode verurteilt war. Das islamische Recht macht die himmeltraurige Ungerechtigkeit möglich: Qisas (Blutrache) heisst das in der Scharia.

An einem Frühlingstag 2007 in Teheran nimmt das Schicksal seinen Lauf: Die 19-jährige Informatik-Studentin Jabbari hat einen Nebenjob als Innenarchitektin und telefoniert in einem Café mit einem Kunden. Das hört der 47-jährige ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Morteza Abdolali Sarbandi, spricht sie an und gibt sich als Doktor aus, der sein Büro in einer Schönheitsklinik von ihr neu gestalten lassen will. Jabbari wittert einen neuen Auftrag und fährt am 7. Juli 2007 mit ihm zum vermeintlichen Büro.

«Dr. Sarbandi öffnete die Tür mit seinem Schlüssel», schreibt Jabbari in ihrem Selbstverteidigungsbrief, aus dem ihre Mutter fürs Buch immer wieder seitenlang zitiert. «Ich war schockiert. Es war kein Büro. Es war eine heruntergekommene Wohnung voller Schmutz und Staub, gefüllt mit Chaos.» Jabbari ahnt einen Hinterhalt, doch sie kann nicht fliehen: Die Tür ist abgeschlossen. Er zeigt ihr eine Packung Kondome, nähert sich ihr, drückt sie zu Boden. «Da sah ich ein Messer auf dem Tisch.»

Verhaftung, Verhöre, Folter folgen: Die Schergen im Gefängnis verbrennen ihr den Rücken, peitschen sie aus, zerquetschen ihr die Zehen mit Stahlkappenschuhen. «Sie isolierten Reyhaneh, um sie zu brechen und so Geständnisse von ihr zu bekommen», schreibt ihre Mutter Shole Pakravan. Doch Jabbari lässt sich nicht brechen und bleibt standhaft bis zuletzt: Am 25. Oktober 2014 ermorden sie die Schlächter mit dem Strang und beseitigen die Leiche rasch, um nicht noch mehr Aufruhr zu verursachen.

«Als man die letzte Betonplatte auf ihr Gesicht legte», schreibt Pakravan, «flüsterte ich ihr in meinem Herzen zu: ‹Reyhaneh, ich werde dich nie vergessen. Ich werde deinen Kampf weiterkämpfen.›» Pakravan flüchtet 2017 über die Türkei nach Deutschland, wo sie heute mit ihrem Mann und den zwei jüngeren Töchtern im Exil lebt. Und in ihrer Heimat, wo mindestens die Hälfte der Bevölkerung entrechtet ist, gehen todesmutige Menschen auf die Strasse und skandieren: «Frau, Leben, Freiheit!»

Shole Pakravan, «Wie man ein Schmetterling wird – das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari», Berlin

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