Die Mumie mobilisiert: Weltweit über 6,5 Millionen Menschen besuchten bis heute die Wanderausstellung «Tutanchamun – sein Grab und die Schätze» mit originalgetreu nachgebautem Grabkomplex des Pharaos und Kopien der darin entdeckten goldenen Fundstücke, darunter die berühmte Totenmaske. Im Vorfeld der Vernissage 2008 in Zürich reiste ich mit anderen Journalistinnen und Journalisten nach Ägypten zu den Originalen und Originalschauplätzen, um die Schau medial zu einem Ereignis zu machen.
Doch welche Schlagzeile konnten wir zur Duplikatspräsentation schon liefern, verglichen mit den Kollegen, die vor genau hundert Jahren bei der Entdeckung des Grabes im Tal der Könige bei Luxor dabei waren? Die deutsche Ägyptologin Nadja Tomoum zitiert in ihrem unlängst erschienenen Buch den «Daily Telegraph» von Januar 1923: Presseleute stürmten auf «Eseln, Pferden, Kamelen und anderen Fortbewegungsmitteln durch die ägyptische Wüste zum Telegrafenamt», um ihre Zeitungen mit Neuigkeiten zu versorgen.
«Die erste globale Mediensensation», betitelt Tomoum dieses Kapitel – zu Recht! Als der Schweizer Hotelier Anton Badrutt Anfang 1923 den Ägyptologen Howard Carter und seinen Mäzen Georg Herbert, 5. Earl of Carnarvon, im Winter Palace Hotel in Luxor empfängt, ruft ein Reporter mit lauter Stimme: «Lord Carnarvon! Herr Carter! Sind Sie hier, um die Gruft zu öffnen?» Am 16. Februar 1923 ist der grosse Tag, 20 geladene Gäste dürfen dem Ereignis beiwohnen.
«Knapp drei Monate nach der Entdeckung des Grabes wurde die Sargkammer geöffnet und das Tal der Könige zur Bühne der Welt», schreibt Kunsthistorikerin Tomoum. Damals, am 4. November 1922, stösst ein zwölfjähriger Wasserträger auf eine in Fels gehauene Stufe, und Carter macht den lakonischen Tagebucheintrag: «Eingang zu einem Grab.» Noch mag er nicht an die Sensation glauben, denn zu oft verliefen seine Grabungen im Sand – dies ist die sechste und letzte, die ihm Lord Carnarvon finanzieren will.
Doch dieses Mal findet Carter das lang gesuchte Grab von Tutanchamun (1341–1323 v. Chr.). Der Sohn von Pharao Echnaton (1372–1336 v. Chr.) kommt bereits als Neunjähriger auf den Thron und stirbt mit knapp 19 – vermutlich an einer Blutvergiftung infolge eines Beinbruchs. Wie bei den Vorfahren erhält seine Mumie ein prunkvolles Grab im Tal der Könige. Doch: «Fast alle Grabanlagen im Tal wurden bereits in der Antike ausgeraubt», schreibt Tomoum, «nur Tutanchamuns Begräbnisstätte überdauerte durch einen glücklichen Zufall als einzige königliche Gruft die Zeit nahezu unversehrt.»
Und so können wir heute die goldene Grabkunst bewundern – die Originale im Ägyptischen Museum von Kairo oder die nachgebaute Grabkammer samt reproduzierten Schätzen in der Wanderausstellung, die zurzeit in Warschau zu sehen ist. Die Mumie liegt derweil schmucklos im Tal der Könige.
Nadja Tomoum, «Das Geheimnis des Tutanchamun – der goldene Pharao und seine abenteuerliche Wiederentdeckung», C. H. Beck