Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Musik vom Kinderschänder, Film vom Vergewaltiger

Je mehr wir über das Leben von Malern und Musikern wissen, umso mehr trübt es unseren Kunstgenuss. Denn es müsste nicht Genie oder Monster heissen, sondern Genie und Monster.
Publiziert: 05.12.2023 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2023 um 20:04 Uhr
Woody Allen: Ist sein Leben vom Werk zu trennen?
Foto: AFP
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Es ist still geworden um Woody Allen. Vor ein paar Tagen konnte der US-Komiker, Schauspieler und Regisseur seinen 88. Geburtstag begehen. Dass er in Feierlaune war, steht zu bezweifeln – zu sehr trüben die Missbrauchsvorwürfe der einen Adoptivtochter und die Heirat mit der anderen sein Image. Und trotzdem finde ich seine Bücher lustig, liebe Filme von ihm wie etwa «The Purple Rose of Cairo» (1985). Und vor etlichen Jahren sah ich ihn in New York bei einem seiner legendären Jazzkonzerte an der Klarinette – grossartig! 

«Eine Menge Gerüchte und Anschuldigungen umschwirren Woody Allens kleine Gestalt wie ein Heiligenschein aus Schmeissfliegen», schreibt die US-amerikanische Autorin und Kritikerin Claire Dederer (56) in ihrem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch. Sind seine Werke deswegen schlecht? «‹Der Stadtneurotiker› war, wie sich herausstellte, immer noch gut», so Dederer. Sie habe den Film früher mindestens ein Dutzend Mal gesehen und sei trotzdem aufs Neue verzaubert, denn er sei «wie ein perlendes Glas Champagner».

Woody Allen ist ein Kulturschaffender, den die «New York Times»-, «Atlantic»- und «Vogue»-Reporterin in ihrem Buch thematisiert – neben Roman Polanski (90), Bill Cosby (86), Michael Jackson (1958–2009), Richard Wagner (1813–1883), Picasso (1881–1973) oder Caravaggio (1571–1610): «Ihnen allen wurde vorgeworfen, etwas Schreckliches getan oder gesagt zu haben», schreibt Dederer, «und sie alle haben Grossartiges geschaffen.» Doch wie lassen sich Schöpfer und Schöpfung trennen? Geht das überhaupt?

Diese Fragen umkreist Dederer und spricht dafür mit vielen anderen Frauen. Ja, Frauen, denn die genialen Monster sind fast ausschliesslich Männer, die Vergehen meist sexuelle Gewalt gegen Frauen. Dederer: «Vergewaltigung gilt als das männliche Verbrechen, und das weibliche Gegenstück ist das Vernachlässigen der eigenen Kinder.» Dederer ist nur knapp einer Vergewaltigung entkommen: «Ich begegne diesen Fragen nicht kühl und mit abgeklärter Perspektive. (…) Und doch will ich auch weiterhin die Kunstwerke konsumieren.»

Sie beschreibt, wie sie das in ihrer Jugend unbekümmert tun konnte: «Langspielplatten und Bücher erschienen wie aus dem Vakuum des Weltraums geschleudert vor uns, losgelöst aus jeglichem Kontext.» Damals war es schwierig, an Informationen über die Künstler zu kommen. Das sei heute im Internetzeitalter anders: Inzwischen scheine es fast unmöglich, Werk und Biografie zu trennen. «Wir schwimmen in biografischem Wissen», so Dederer, «wir ersticken an Biografien.»

Das Wissen belastet. Die Frage danach, wie man mit Kunst monströser Männer umgehen solle, sei nur die Mücke, die den Elefanten umschwirre, um den es eigentlich gehe: «Wie gehen wir mit den monströsen Menschen um, die wir lieben?» Liebe beruhe nicht auf einem gefällten Urteil, sondern auf der Entscheidung, das Urteil beiseitezuschieben. Dederer: «Liebe ist Anarchie. Liebe ist Chaos.» Wir lieben nicht die, die es verdienen; wir lieben fehlerhafte und unvollkommene Menschen.

zVg
Claire Dederer

«Genie oder Monster – von der Schwierigkeit, Künstler und Werk zu trennen», Piper

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«Genie oder Monster – von der Schwierigkeit, Künstler und Werk zu trennen», Piper

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