Suche die Unterschiede! Das ist wohl das beliebteste Gesellschaftsspiel, welches wir schon von jung auf erlernen. Im Kindergarten scheiden wir uns so in Mädchen und Knaben, dann differenzieren wir Blond- von Schwarzhaarigen, schliesslich Hellhäutige von Farbigen. Und immer stellt sich die Frage: Wo gehöre ich dazu? Im besten Fall führt dies zu Freundschaften und Gruppenbildungen, im schlechtesten zu Ausgrenzung, Sexismus und Rassismus.
Ich bin kein Rassist – das sagen die meisten Menschen von sich. Doch wir seien alle Rassisten, sagt der US-amerikanische Historiker und Universitätsprofessor Ibram X. Kendi (38, «Gebrandmarkt»). Und er nahm sich bis vor kurzem nicht aus, ist jetzt aber geläutert. Denn letztes Jahr veröffentlichte Kendi die Anleitung «How To Be An Antiracist», die wochenlang auf Platz 1 der «New York Times»-Bestsellerliste stand und nun in deutscher Übersetzung vorliegt.
Antirassismus ist für Kendi das Gebot der Stunde, denn «das Gegenteil von ‹rassistisch› ist nicht ‹nichtrassistisch›, sondern ‹antirassistisch›». Im Kampf gegen Rassismus gebe es keine Neutralität. «Der einzige Weg, gegen Rassismus vorzugehen, besteht darin, ihn konsequent aufzuzeigen und zu beschreiben – und ihn dann abzubauen.» Und Kendi benennt Formulierungen, die Unter- oder Überlegenheit einzelner Ethnien zum Ausdruck bringen: «schwache Ureinwohner» etwa oder «wütende schwarze Frauen», «unterwürfige Asiaten», «terroristische Araber» und «Weisse sind Teufel».
Ja, Rassismus ist für Kendi in jeder Richtung verwerflich. Für den schwarzen New Yorker und Gründungsdirektor des Antiracist Research and Policy Center ist klar: «Das Verhalten rassistischer weisser Einzelpersonen zu verallgemeinern und auf alle Weissen zu übertragen, ist so gefährlich, wie Fehler einzelner Personen of Color auf ganze Race-Kategorien zu übertragen.» Schliesslich war es der weisse Präsident Lyndon B. Johnson (1908–1973), der 1964 mit dem Civil Rights Act die Rassentrennung in den USA für illegal erklärte.
Trotz dieser verfassungsmässigen Änderung ist Rassismus dort und anderswo heute wieder weiter verbreitet denn je. «Was wäre, wenn wir Rassismus so behandeln würden, wie wir Krebs behandeln?», schreibt Kendi, der selber kürzlich an Darmkrebs erkrankt war und davon geheilt werden konnte. Den Körper des Gemeinwesens mit einer Immuntherapie der antirassistischen Politik behandeln, die die Tumore der rassistischen Ungleichheit schrumpfen lasse – so sieht Kendis Methode aus.
«Diese Welt kann Wirklichkeit werden, wenn wir uns auf Machtverhältnisse anstatt auf Personen konzentrieren, wenn wir uns darauf konzentrieren, nicht eine bestimmte Gruppe Menschen, sondern die Politik zu verändern», schreibt Kendi. «Eine antirassistische Welt ist möglich, wenn wir unseren Zynismus überwinden und aufhören zu glauben, dass Rassismus ewig bestehen wird.» Eines ist gewiss: Nach dieser Lektüre handelt man gleichwertiger und weniger gleichgültig.
Ibram X. Kendi, «How To Be An Antiracist», btb