Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
«Ich habe einen eigenen Bahnhof, 38 Lokomotiven und 35 Flugzeuge»

Auf Strasse, Schiene, zu Wasser und in der Luft: Wie ein Eisenbahner das erfolgreichste Museum der Schweiz aufbaute.
Publiziert: 05.07.2022 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2022 um 13:22 Uhr
Alfred Waldis 2004 vor dem Verkehrshaus der Schweiz.
Foto: Keystone
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Im Ferienlager, mit der Familie, der Firma oder aus purer Freude mit Freunden: In irgendeiner Form war schon jeder Schweizer, jede Schweizerin im Verkehrshaus in Luzern. Nicht umsonst ist es seit seiner Eröffnung das meistbesuchte Museum der Schweiz: Mehr als eine halbe Million Eintritte zählt es vor Corona jährlich – damit liegt es weit vor der Fondation Beyeler in Riehen BS und dem Landesmuseum in Zürich mit je rund 300’000 Besuchenden pro Jahr (2019).

«Am 1. Juli 1959 war es so weit», schreibt die Journalistin Trudi von Fellenberg-Bitzi (68) in ihrem eben erschienenen Buch. «Das Verkehrshaus wurde eingeweiht.» Die treibende Kraft dahinter ist der Luzerner Alfred Waldis (1919–2013). Und so ist das Buch zwar eine Hommage an den Besuchermagnet am Vierwaldstättersee, aber vor allem eine Beschreibung von Waldis' Leben. Von Fellenberg-Bitzi machte sich bereits einen Namen mit Biografien über den Gründer der Schweizer Paraplegiker-Stiftung Guido A. Zäch (86) und die Frauenrechtlerin Emilie Lieberherr (1924–2011).

Von Fellenberg-Bitzi ist Waldis nie persönlich begegnet, «doch ich erinnere mich an Telefongespräche während der Jahre 2000 und 2001». Und sie hat sich in über 900 Reportagen, 1200 Vorträge und ein halbes Dutzend Bücher von Waldis eingelesen. Zudem hatte sie Zugriff auf persönliches Bild- und Textmaterial, sodass von Fellenberg-Bitzi eine detaillierte Biografie dieses umtriebigen Menschen schreiben konnte. «Alfred Waldis erklomm die Stufen zum Erfolg in Windeseile, und sein Werdegang gleicht einer Tellerwäscherkarriere», so die Autorin.

Als Sonntagskind am 7. September 1919 in Luzern zur Welt gekommen, verliert Alfred schon mit 14 seine geliebte Mutter. Durch seinen Vater, der Steuermann auf dem Vierwaldstättersee-Raddampfer «Rigi» war, und die eigene Stationslehre bei den SBB kommt Alfred Waldis früh mit Schifffahrt und Eisenbahn in Berührung. Kein Wunder, beruft man ihn 1957 zum ersten Geschäftsführer des Verkehrshauses der Schweiz. In nur zwei Jahren lässt er ein neuartiges Museum bauen und füllt es mit Inhalten – eine Parforceleistung.

«Stellen Sie sich vor: Ich habe einen eigenen Bahnhof, 38 Lokomotiven, 70 Kutschen, 35 Flugzeuge, 45 Autos, ein Dampfschiff und zwei Original-Raumschiffe», sagt Waldis 1979 nach seinem Rücktritt als Direktor des Verkehrshauses. Doch der Mann hat noch nicht genug: Am 1. Juli 1982 kann er zum Jubiläum «100 Jahre Gotthardbahn» die neue Halle Schienenverkehr eröffnen – einen ganzen Tag ist er Botschafter der SBB, und er sagt: «Ich träume jetzt noch manchmal davon, ein Eisenbahner zu sein …»

Doch die Zeiten ändern sich: Mit der Liberalisierung Ende der 1990er-Jahre hinterfragen SBB und PTT ihr Engagement für das Verkehrshaus. «Nach dem Grounding der Swissair, einer der Hauptträger des Verkehrshauses, gab es auch von dort kein Geld mehr», schreibt von Fellenberg-Bitzi – und so macht das Museum trotz Besucherrekorden Millionenverluste. Doch es schafft stets die Kurve und bleibt mit immer neuen Attraktionen in Bewegung.

Trudi von Fellenberg-Bitzi, «Alles was rollt, schwimmt und fliegt – der Visionär Alfred Waldis und das Verkehrshaus der Schweiz», NZZ Libro

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