Diesen Sonntag stimmen wir in der Schweiz über die Begrenzungsinitiative ab. Die SVP will mit ihrem Begehren eine «massvolle Zuwanderung» aus dem Ausland erwirken und der früher angenommenen Masseneinwanderungsinitiative zum Durchbruch verhelfen. Die Gegner monieren, dadurch werde die mit der EU ausgehandelte Personenfreizügigkeit aufs Spiel gesetzt, und nennen die Volksbefragung Kündigungsinitiative.
Wie immer die Abstimmung ausgeht, eines ist klar: Auf unsere Sprache hat das keinen Einfluss. Denn wie die Familie von SVP-Doyen Christoph Blocher (79) aus dem Ausland stammt, ja wie wir letztlich alle ursprünglich von anderswo als der Schweiz herkommen, so sind viele Wörter im Deutschen von weit her zu uns eingewandert und nisten sich unscheinbar in unsere mündliche und schriftliche Kommunikation ein.
«Eingewanderte Wörter» heisst das erstaunliche Minilexikon des deutschen Journalisten und Buchautors Matthias Heine (59). Nachdem er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Neubearbeitung des «Deutschen Wörterbuchs» von Hermann Paul (1846–1921) beteiligt war und sich als Feuilletonredaktor bei der «Welt» am liebsten mit Sprachgebrauch und Sprachwandel beschäftigt, präsentiert er nun den Werdegang von 94 Wörtern, «von Anorak bis Zombie».
«In der deutschen Sprache gibt es viele Migrationshintergründe. Nicht alle sind noch sichtbar», schreibt Heine. «Seit Jahrtausenden vereinnahmen unsere Muttersprache und ihre Vorläufer Wörter ganz unterschiedlicher Herkunft.» So kommen die von ihm aufgeführten Begriffe ursprünglich aus so abgefahrenen Sprachen wie Algonkin (Kanada), Wolof (Senegal), Arawakisch (Guyana) oder Tunumiisut (Grönland).
«Das miese Virus schmust mit hippen Horden und opfert im Amok ganze Familien dem Nirvana.» Diesen zugegebenermassen ein bisschen gestelzten, aber verständlichen deutschen Satz zu Corona habe ich einzig mit Wörtern aus Heines Buch gebildet. Er enthält also mit Ausnahme der Artikel und Präpositionen kein «rein» deutsches Wort. Der Beweis: «mies» ist aramäisch, «Virus» lateinisch, «schmusen» jiddisch, «hip» Wolof, «Horde» mongolisch, «opfern» lateinisch, «Amok» malaiisch, «Familie» lateinisch und «Nirvana» Sanskrit.
«Wer Deutsch spricht, spricht auch etwa 120 andere Sprachen – so viele habe ich bei meinen Recherchen gezählt», schreibt Heine. So wie menschliche Migranten aus fernen Weltgegenden, so seien auch die Wörter meist nicht direkt zu uns gekommen, sondern hätten auf ihrer Reise diverse Zwischenhalte anderswo eingelegt. «Im Verlauf eines jahrhundertelangen Sprachen-Hoppings näherten sie sich schliesslich dem deutschen Siedlungsgebiet.» Und nun sind sie hier heimisch.
Matthias Heine, «Eingewanderte Wörter – von Anorak bis Zombie», Dumont