Zur Sache! Neue Non-Fiction-Bücher
Die Kochkunst begann in China und Frankreich

«Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral», schrieb einst Bertolt Brecht (1898–1956). Doch die Moral führte die Menschen zum gesitteten und gediegenen Essen, was sie von allen anderen Lebewesen unterscheidet.
Publiziert: 14.12.2021 um 17:32 Uhr
Voller Topf: Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich Essen zubereitet.
Foto: StockFood
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Sind Sie schon in Festlaune? Im Hinblick auf Weihnachten formen viele voller Freude Feingebäck für die Familie; um Zimtstern und Mailänderli-Herz anschliessend knusprig backen zu können, laufen landauf, landab Öfen heiss. Bei mir bräunt dort in den nächsten Tagen die traditionelle Pastete nach Mutters Rezept, die ich dann am 25. Dezember zum Festessen mit den Verwandten auftischen werde.

«Überall auf der Welt waren (und sind) religiöse Feiertage, Jahreswende, Ernteanfang oder Erntedank, Schlachtfest, Lebensfeste wie Heirat, Geburt, Tod Anlass zum Feiern und zu ausgedehntem Schmaus», schreibt die deutsche Schriftstellerin Anna Dünnebier (77) im kürzlich veröffentlichten Buch «Leere Töpfe, volle Töpfe». Es ist die erweiterte Neuausgabe der «Kulturgeschichte des Essens und Trinkens», die sie 1994 zusammen mit dem Gastrokritiker Gert von Paczensky (1925–2014) herausgab.

Immer wieder spannend zu lesen, wie sich die Nahrungszubereitung über Jahrtausende verfeinerte, denn: «Der Hunger hat die Menschen erfinderischer gemacht als alle anderen Geschöpfe auf der Erde.» Kein Vogel benutzt Pfannen, keine Kuh benötigt ein Salatdressing und kein Tiger grilliert sein Fleisch. Welche Kochtechniken wir uns im Laufe der letzten 12'000 Jahre aneigneten, das ist einzigartig.

Geröstete Schnecken, verschiedene Kürbissorten, Geflügel mit Hirsebeilage, grüner Salat, Ragout von Schlangen und Eidechsen mit Chilipfeffer und Kaktusfrucht: Was sich wie eine spezielle Speisekarte liest, ist die Nahrung von Steinzeitmenschen, die man aufgrund versteinerter Kotfunde in Mexiko ausmachen konnte. Die Archäologie förderte eine gewisse Raffinesse zu Tage, denn: «Durch Rösten und Kochen konnten die Menschen auch grössere Mengen wildes Getreide geniessbar machen.» Oder eben Schnecken.

Doch um rösten zu können, braucht es Hitze. «Die frühesten Spuren von Feuergebrauch stammen – verblüffen kann es uns nicht – just aus den beiden Ländern, die noch in der Neuzeit als Zentren hoher Küchenkultur gelten: China und Frankreich», schreibt Dünnebier. In Feuerstellen nahe Peking und Nizza fand man Asche mit verkohlten Tierknochen, die etwa eine halbe Million Jahre alt sein müssen.

Über Bier, Brei und Brot führt das Buch bis in die Gegenwart und behandelt dabei Themen wie «Auf der Suche nach mehr Geschmack», «Essen und Sex» oder «Wege in den Hunger». Denn im Titel ist es ja schon angedeutet: Es geht auch um leere Töpfe. So vernichtete 1845/46 die Braunfäule die gesamte irische Kartoffelernte, das Arme-Leute-Essen. Man schätzt, dass deswegen auf der Insel eine Million Menschen verhungerten.

Verhungern müssen Menschen heute noch immer, obwohl die Welt genügend Nahrung für alle bereitstellt. Und wer sich vollstopfen kann, macht das oft auf ungesunde Weise. Deshalb lautet der neueste Trend: gesundes Essen. «Wenn man nur aufpasst, kann man jeden Tag in der Zeitung etwas neues Wichtiges über die Gesundheit finden», schreibt Dünnebier und schliesst ernüchtert: «Meist widerspricht es den Erkenntnissen vom Vortag.»

Anna Dünnebier & Gert von Paczensky, «Leere Töpfe, volle Töpfe – Kulturgeschichte des Essens und Trinkens», Die andere Bibliothek

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