Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg: Kein Land weiss das besser als die Willensnation Schweiz. Dabei ist nicht an den Mythos von 1291 mit Rütli-Schwur und Hohler Gasse zu denken, sondern an die reale Tat von 1848, als sich Kantone aus vier Sprachregionen zum modernen Bundesstaat zusammenrauften. Noch präziser waren es gescheite Köpfe, die damals willentlich das Projekt Schweiz in die Wege leiteten.
«Projekt Schweiz» heisst ein kürzlich erschienener Sammelband mit Texten zu gescheiten Schweizer Köpfen. «Dieses Buch versammelt Porträts von Menschen, die zu einem liberalen, offenen, sozial engagierten Land beitrugen», schreibt Herausgeber Stefan Howald (68) im Vorwort. Es ist kein Buch über die Gründerväter von 1848, sondern über 44 Menschen aus dem 18. bis zum 21. Jahrhundert, die unsere Land prägten und prägen.
Der Genfer Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) ist auf gut zehn Seiten ebenso beschrieben wie die Basler Frauenrechtlerin Iris von Roten (1917–1990) und der Aargauer Chemiker und LSD-Entdecker Albert Hofmann (1906–2008). Howald fragte für jedes der 44 Porträts einen Schreiber oder eine Schreiberin an, die oder der auf je eigene Art einen Zugang zu der Persönlichkeit suchte und fand.
Dabei ergaben sich naheliegende Paarungen: Sozialist Jean Ziegler (87) schreibt über den Kommunisten Fritz Platten (1883–1942), Reporterin Margrit Sprecher (85) über den Journalisten Niklaus Meienberg (1940–1993) und Autor und Kabarettist Franz Hohler (78) über den Liedermacher Mani Matter (1936–1972). Es sind persönliche Porträts, berührende Briefe oder spannende Spurensuchen, aber nie Interviews. Denn die beschriebenen Personen sind allesamt schon tot.
Es sind mehrheitlich alte Männer (24 von 44), die über noch mehr verstorbene Männer (28 von 44) schreiben. Lebendig sind die Texte dennoch allemal und lassen zuweilen vergessene oder unbekannte Schweizerinnen und Schweizer auferstehen – so etwa wenn Schriftsteller Adolf Muschg (87) den liberalen Lausanner Autor Benjamin Constant (1767–1830) in Erinnerung ruft oder Historiker Jakob Tanner (71) auf Elsa F. Gasser (1896–1967), die Frau an Gottlieb Duttweilers Seite und gemäss dessen eigenen Worten «geistige Mitbegründerin der Migros», aufmerksam macht.
Am überzeugendsten und überraschendsten ist das Buch aber dort, wo eine jüngere Frau ihre Kindheitserinnerung an eine andere Frau wachruft – dort, wo Bühnenpoetin Patti Basler (45) über «Heidi»-Autorin Johanna Spyri (1827–1901) schreibt. «Ich stehe auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich am Grab von Johanna Spyri und halte ein leeres Blatt in der Hand», beginnt Basler. Und am Schluss schreibt sie auf das Blatt: «Danke, Johanna Spyri, für den Boden und das Fenster – aber der Weg ist noch weit.»
Stefan Howald (Hrsg.), «Projekt Schweiz – vierundvierzig Porträts aus Leidenschaft», Unionsverlag