Zur Sache! Florian Illies erzählt von Liebespaaren um das Jahr 1933
Liebesleben trotzt Hitlers Hass

Es gibt keinen, der Historie hinreissender auf den Punkt bringt als der deutsche Autor Florian Illies. Sein neues Buch ist wieder eine Perlensammlung.
Publiziert: 05.12.2021 um 19:46 Uhr
«Reichskanzler Hitler. Schreck»: Tagebucheintrag von Klaus Mann im Jahr 1933.
Foto: Getty Images
ausgelesen von Dr. phil. Daniel Arnet

Heute vor genau neun Jahren traf ich Florian Illies in Berlin. An der Schwelle zum Jahr 2013 sprachen wir über seinen Bestseller «1913». Er beschreibt darin faszinierend und stringent, wie das Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs der Aufbruch in die Moderne ist. Dafür durchkämmte Illies Biografien von Kafka bis Freud auf 1913. «Das war ein grossartiges Gefühl», sagte er mir im Interview. «Als ich diese Bände so zerschnitt, fielen mir die Perlen aus diesem Jahr gleichsam entgegen, und ich habe eine neue Kette daraus geknüpft.»

Auf 1933 liegt der Fokus des aktuellen Bestsellers von Illies (50). Nach dem Aufbruch von 1913 tut sich 20 Jahre später der Abgrund auf, denn 1933 ist Hitler neuer deutscher Reichskanzler und stürzt die Menschheit in den Zweiten Weltkrieg. Für Illies gibt es ein «Davor» und ein «Danach» der Machtergreifung durch die Nazis, weshalb er den Fokus auf die Jahre 1929 bis 1939 ausweitet. Und er zeigt auf, wie sich in dieser Dekade des Hasses überall – von Berlin über Paris bis New York – Liebe finden lässt.

«Liebe in Zeiten des Hasses» heisst das Buch folgerichtig. Und die Reminiszenz an «Liebe in den Zeiten der Cholera» des kolumbianischen Nobelpreisträgers Gabriel García Márquez (1927–2014) zeigt die Ambitionen des feinsinnigen deutschen Kunsthistorikers und Autors. Tatsächlich legt Illies nicht bloss ein Geschichtsbuch vor, sondern ein sauber recherchiertes Werk, das zusätzlich durch seine sprachliche Brillanz glänzt. Illies macht aus nüchterner Geschichte spannende Geschichten.

Stilistisch schafft er das durch Verwendung des historischen Präsens: Bei ihm heisst es nicht märchenhaft «es war einmal», sondern real «es ist». Und so steht die Leserschaft gleich neben den berühmten Liebespaaren jener Zeit, über die Illies detailliert und faktentreu schreibt: «Am 14. Oktober 1929 verbringen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir das erste Mal eine Nacht miteinander – in ihrer neuen Pariser Wohnung in der Avenue Denfert-Rochereau 91, fünfter Stock rechts», schreibt er über das französische Intellektuellenpaar. «Die Tapete hat ein unerhörtes Orange. Vor allem das werden sie nie vergessen.»

Witzig und virtuos schreibt er im Kapitel «Davor» auch über andere Paare, etwa Véra und Vladimir Nabokov, Annemarie Schwarzenbach und Erika Mann, Bertolt Brecht und Helene Weigel, Zelda und F. Scott Fitzgerald. Bei manchen hält der Kitt schon zu Beginn nicht gut, und im Mitteldrittel, das schlicht «1933» betitelt ist, fliegt dann alles auseinander: Alle flüchten vor Hitler aus Europa. Liebe ist in diesem traurigen Kapitel spärlich gesät. Illies beschreibt, wie der junge Sozialist Willy Brandt und seine Freundin Gertrude Meyer in Lübeck voll Schrecken beobachten, wie Nazis Juden bespucken.

Doch in Venedig blüht 1937 in «Danach» die Liebe wieder auf: «Zwei deutsche Weltstars, deren Stern sinkt, treffen sich morgens in der ewig sinkenden Stadt und versinken abends bereits gemeinsam in den Kissen.» So poetisch schildert Illies die Romanze zwischen dem Schriftsteller Erich Maria Remarque (1898–1970) und der Filmdiva Marlene Dietrich (1901–1992) in Zeiten des Hasses.

Florian Illies, «Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929–1939», S. Fischer

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